Washington Square
schweiften darüber hin; sie ruhten sogar auf den rötlichen Fenstern von Mrs. Pennimans Gemach. Er fand, es sei ein verteufelt komfortables Haus.
|135| 17. KAPITEL
Mrs. Penniman erzählte Catherine an jenem Abend – die beiden Damen saßen im hinteren Salon –, daß sie eine Unterredung mit Morris Townsend gehabt habe; und auf diese Nachricht hin fuhr Catherine vor Schmerz zusammen. Einen Augenblick empfand sie Ärger; es war fast das erste Mal, daß sie Ärger empfand. Sie hatte den Eindruck, ihre Tante mische sich aufdringlich ein; und davon ging die unbestimmte Befürchtung aus, sie werde etwas verderben.
»Ich begreife nicht, warum du dich mit ihm treffen mußtest. Ich glaube nicht, daß das richtig war«, sagte Catherine.
»Er tat mir so leid – es schien mir, jemand müsse nach ihm sehen.«
»Niemand außer mir«, sagte Catherine, der es vorkam, als gäbe sie die anmaßendste Äußerung ihres Lebens von sich, und die doch zur gleichen Zeit instinktiv fühlte, daß sie recht daran getan hatte.
»Aber du wolltest ja nicht, meine Liebe«, erwiderte Tante Lavinia, »und ich wußte nicht, was aus ihm hätte werden können.«
»Ich habe mich nicht mit ihm getroffen, weil es mein Vater untersagt hat«, sagte Catherine ganz einfach.
Hierin lag allerdings eine Einfalt, die Mrs. Penniman ziemlich reizte. »Ich glaube, wenn dir dein Vater verbieten würde, einzuschlafen, dann bliebst du eben wach!« erklärte sie.
|136| Catherine sah sie an. »Ich verstehe dich nicht. Du kommst mir sehr eigenartig vor.«
»Nun, meine Liebe, eines Tages wirst du mich schon verstehen!« Und Mrs. Penniman, die eben das Abendblatt las, das sie täglich von der ersten bis zur letzten Zeile durchstudierte, nahm ihre Beschäftigung wieder auf. Sie hüllte sich in Schweigen; denn sie hatte für sich entschieden, Catherine solle sie bitten, ihr von ihrer Unterredung mit Morris zu berichten. Aber Catherine schwieg so lange, daß Tante Lavinia schier die Geduld verlor und im Begriff war, ihr zu bedeuten, sie sei herzlos, als das Mädchen endlich sein Schweigen brach. »Was hat er denn gesagt?« fragte es.
»Er sagte, er sei jeden Tag bereit, dich zu heiraten – trotz allem.«
Catherine gab darauf keine Antwort, und Mrs. Penniman verlor aufs neue schier die Geduld; infolgedessen gab sie schließlich die Mitteilung zum besten, Morris sehe sehr hübsch, aber schrecklich abgehärmt aus.
»Wirkte er niedergeschlagen?« fragte ihre Nichte.
»Er hatte Schatten unter den Augen«, sagte Mrs. Penniman. »So ganz anders als ich ihn seinerzeit zum ersten Mal sah; wenngleich ich mir nicht sicher bin, ob ich nicht noch mehr von ihm beeindruckt gewesen wäre, wenn ich ihn beim ersten Mal in diesem Zustand gesehen hätte. Gerade in seinem Elend liegt etwas Glanzvolles.«
Das wurde in Catherines Empfindung zu einem Bild voll Leben, und obwohl sie es mißbilligte, spürte sie, daß sie wie gebannt darauf blickte. »Wo hast du ihn getroffen?« fragte sie dann unmittelbar.
»In – in der Bowery; in einer Konditorei«, sagte Mrs. Penniman, die das unbestimmte Gefühl hatte, sie sollte die Sache lieber ein wenig verschleiern.
|137| »Wo liegt denn das ungefähr?« forschte Catherine nach einer weiteren Pause.
»Möchtest du gern dorthin gehen, meine Liebe?« erwiderte ihre Tante.
»O nein.« Catherine erhob sich von ihrem Sessel und begab sich zum Feuer, wo sie eine Weile stehen blieb und auf die glühenden Kohlen blickte.
»Warum bist du so saft- und kraftlos, Catherine?« sagte Mrs. Penniman schließlich.
»So saft- und kraftlos?«
»So kalt – so teilnahmslos.«
Das Mädchen wandte sich blitzschnell um. »Hat
er
das gesagt?«
Mrs. Penniman zögerte einen Moment. »Ich will dir erzählen, was er gesagt hat. Er sagte, er fürchte nur eines – daß du Angst hättest.«
»Angst wovor?«
»Angst vor deinem Vater.«
Catherine wandte sich wieder zum Feuer und sagte dann nach einer Pause: »Ich
habe
Angst vor meinem Vater.«
Mrs. Penniman erhob sich rasch von ihrem Sitz und trat zu ihrer Nichte. »Soll denn das heißen, du willst ihn aufgeben?«
Catherine verharrte einige Zeit völlig regungslos; sie hielt ihre Augen auf die Kohlen geheftet. Schließlich hob sie den Kopf und sah ihre Tante an. »Warum drängst du mich so?« fragte sie.
»Ich dränge dich doch nicht. Wann habe ich denn schon früher mit dir darüber gesprochen?«
»Mir scheint, daß du bereits mehrmals mit mir darüber gesprochen hast.«
»Ich fürchte, dann ist es auch
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