Washington Square
stirbst? Wer im Begriff ist zu heiraten, sollte nicht so viel an Geschäfte denken. Du solltest nicht an Baumwolle denken; du solltest an mich denken. Nach New Orleans kannst du doch ein anderes Mal fahren – Baumwolle gibt es zu allen Zeiten in Hülle und Fülle. Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt: Wir haben schon allzu lange gewartet.« Sie sprach eindringlicher und redegewandter, als er es jemals von ihr gehört hatte, und hielt dabei seinen Arm in ihren beiden Händen.
»Du hast doch gesagt, daß du keine Szene machst«, rief Morris. »Ich nenne das eine Szene.«
»Aber du machst sie ja. Ich habe dich früher nie um etwas gebeten. Wir haben schon allzu lange gewartet.« Und für sie lag ein Trost in dem Gedanken, daß sie bisher um so wenig gebeten hatte; das schien ihr ein Recht zu geben, jetzt um so mehr auf ihrem Wunsch zu bestehen.
Morris überlegte ein wenig. »Nun gut also; wir wollen nicht mehr darüber sprechen. Ich werde mein Geschäft brieflich tätigen.« Und er begann seinen Hut glattzustreichen, als wolle er aufbrechen.
|230| »Du fährst also nicht?« und sie sah zu ihm auf, während sie dastand.
Er konnte sein Vorhaben, einen Streit hervorzurufen, noch nicht aufgeben; es war eben doch der einfachste Weg. Er richtete seine Augen mit dem allerfinstersten Blick, den er fertigbrachte, auf ihr zu ihm emporgewandtes Gesicht. »Du bist nicht rücksichtsvoll; du darfst mich nicht tyrannisieren.«
Aber wie gewöhnlich gab sie ihm in allem nach. »Ja, ich bin nicht rücksichtsvoll; ich weiß, daß ich dich zu sehr unter Druck setze. Aber ist das nicht ganz natürlich? Es ist nur für einen Augenblick.«
»In einem Augenblick kannst du eine Menge Schaden anrichten. Versuche doch, ruhiger zu sein, wenn ich das nächste Mal komme.«
»Wann kommst du wieder?«
»Willst du mir vielleicht Bedingungen stellen?« fragte Morris. »Ich komme am nächsten Samstag.«
»Komm’ doch morgen«, bat Catherine. »Ich wünsche mir so, daß du morgen kommst. Ich werde auch ganz ruhig sein«, setzte sie hinzu; und ihre Erregtheit war mittlerweile so heftig geworden, daß diese Versicherung nicht unangebracht war. Ganz unerwartet hatte sie Angst überkommen; sie war wie eine dauerhafte Verbindung von einem Dutzend immaterieller Zweifel, und ihr Vorstellungsvermögen hatte mit einem einzigen Sprung eine gewaltige Strecke zurückgelegt. Einen Moment lang kreiste ihr ganzes Dasein um den Wunsch, ihn im Zimmer festzuhalten.
Morris neigte den Kopf und küßte sie auf die Stirn. »Wenn du ruhig bist, dann bist du die Vollkommenheit in Person«, sagte er, »doch wenn du heftig wirst, bist du deinem Wesen nicht mehr gemäß.«
|231| Catherine wollte gern von aller Heftigkeit frei sein, abgesehen vom Pochen ihres Herzens, dem sie nicht abhelfen konnte; und so sanft wie möglich fuhr sie fort: »Versprichst du, morgen zu kommen?«
»Ich habe Samstag gesagt!« antwortete Morris lächelnd. Er bemühte sich bald um einen finsteren Blick, bald um ein Lächeln, doch er war am Ende seiner Kunst.
»Ja, am Samstag auch«, entgegnete sie mit einem Versuch zu lächeln. »Aber zuerst einmal morgen.«
Er begab sich zur Tür, und sie eilte ihm nach. Sie lehnte sich fest dagegen; ihr schien, sie könnte alles tun, um ihn festzuhalten.
»Falls ich morgen verhindert bin zu kommen, wirst du sagen, ich hätte dich getäuscht«, sagte er.
»Wodurch kannst du verhindert sein? Wenn du willst, kannst du doch kommen.«
»Ich bin ein sehr beschäftigter Mann – ich bin kein Herumlungerer!« rief Morris hart.
Seine Stimme war so schrill und unnatürlich, daß sie sich nach einem hilflosen Blick auf ihn wegwandte; daraufhin legte er blitzschnell die Hand auf die Türklinke. Er hatte den Eindruck, als würde er ihr geradezu davonlaufen. Doch im Augenblick war sie wieder dicht bei ihm und raunte in einem Ton, der trotz seiner Gedämpftheit nicht weniger eindringlich war: »Morris, du willst mich verlassen.«
»Ja, für eine kleine Weile.«
»Für wie lange?«
»Bis du wieder vernünftig geworden bist.«
»In dieser Hinsicht werde ich niemals vernünftig sein.« Und sie versuchte, ihn noch länger festzuhalten; es wurde fast ein Kampf daraus. »Bedenke, was ich getan habe!« stieß sie hervor. »Morris, ich habe alles aufgegeben.«
|232| »Du wirst alles zurückbekommen.«
»Das würdest du nicht sagen, wenn du nicht irgend etwas vorhättest. Was ist es denn? Was ist nur geschehen? Was habe ich getan? Was hat dich so
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