Washington Square
verändert?«
»Ich werde dir schreiben – das ist besser«, stammelte Morris hervor.
»Ach, du wirst nicht mehr zurückkommen!« rief sie, indem sie in Tränen ausbrach.
»Liebe Catherine«, sagte er, »glaub’ nur das nicht. Ich verspreche dir, daß du mich wiedersiehst.« Und es glückte ihm, sich davonzumachen und die Tür hinter sich zu schließen.
|233| 30. KAPITEL
Es war dies wohl der letzte Leidenschaftsausbruch ihres Lebens; mindestens ergab sie sich nie mehr einem, von dem die Welt erfahren hätte. Doch dieser war lang und fürchterlich; sie warf sich auf das Sofa und gab sich ihrem Kummer hin. Eigentlich wußte sie nicht recht, was geschehen war; anscheinend hatte sie lediglich eine Meinungsverschiedenheit mit ihrem Liebhaber gehabt wie schon andere Mädchen vor ihr, und die Sache war nicht nur kein Abbruch der Beziehung, sondern Catherine war auch keineswegs gezwungen, sie gar als etwas entsprechend Bedrohliches anzusehen. Trotzdem fühlte sie eine Wunde, auch wenn Morris sie ihr nicht zugefügt hatte; es kam ihr vor, als sei auf einmal eine Maske von seinem Gesicht gefallen. Er hatte von ihr wegkommen wollen; er war zornig und herzlos gewesen und hatte mit eigentümlichem Blick merkwürdige Dinge gesagt. Sie fühlte sich dem Ersticken nahe und wie gelähmt; sie barg ihren Kopf in die Kissen, schluchzte und sprach mit sich selbst. Doch schließlich stand sie auf, aus Angst, ihr Vater oder Mrs. Penniman könnten hereinkommen; und dann saß sie da und starrte vor sich hin, während es im Zimmer allmählich dunkler wurde. Sie machte sich vor, daß er vielleicht zurückkehre, um ihr zu sagen, er habe das, was er geäußert hatte, nicht so gemeint; und sie lauschte, ob sie ihn an der Tür klingeln höre, und versuchte, das für wahrscheinlich zu halten. Viel Zeit verstrich, doch Morris blieb weg; die Schatten wurden dichter; der Abend fiel |234| herein über die bescheidene Eleganz des lichten, hellgetönten Zimmers; das Kaminfeuer verlosch. Als es dunkel geworden war, ging Catherine zum Fenster und sah hinaus; eine halbe Stunde lang stand sie dort, bloß auf die Möglichkeit hin, daß er die Stufen heraufkäme. Schließlich wandte sie sich ab, da sie ihren Vater kommen sah. Er hatte sie zum Fenster herausschauen sehen, blieb einen Moment am Fuß der weißen Stufen stehen und zog feierlich, mit einem Gebaren übertriebener Höflichkeit, den Hut vor ihr. Die Geste war so unpassend zu dem Zustand, in dem sie sich befand, diese würdevolle Ehrenbezeigung gegenüber einem armen, verschmähten und verlassenen Mädchen so fehl am Platz, daß sie ihr geradezu Grauen verursachte und sie aus dem Zimmer stürzte. Es kam ihr vor, als habe sie Morris aufgegeben.
Sie mußte sich eine halbe Stunde später zeigen, und bei Tisch wurde sie aufrechterhalten durch ihren sehnlichen Wunsch, ihr Vater solle nicht bemerken, daß etwas vorgefallen war. Später bedeutete ihr das eine große Hilfe, und schon von Anfang an war es ihr nützlich (wenngleich nicht so sehr, wie sie dachte). Bei diesem Abendessen war Dr. Sloper ziemlich gesprächig. Er erzählte eine Unmenge Geschichten von einem erstaunlichen Pudel, den er im Haus einer alten Dame, die er von Berufs wegen besuchte, gesehen hatte. Catherine versuchte nicht nur, den Eindruck zu erwecken, daß sie den Geschichtchen vom Pudel zuhörte, sondern bemühte sich auch, Interesse daran zu finden, damit sie nicht an ihre Szene mit Morris denken müsse. Vielleicht war sie nur eine Wahnvorstellung; er hatte sich geirrt, sie war eifersüchtig; die Menschen änderten sich von einem Tag auf den andern doch nicht derartig. Doch dann erkannte sie, daß sie schon zuvor Zweifel gehabt hatte – eigenartige |235| Verdachtsmomente, die unklar und gleichzeitig brennend waren – und daß er bereits seit ihrer Rückkehr aus Europa anders gewesen war; worauf sie erneut versuchte, ihrem Vater zuzuhören, der so bemerkenswert gut Geschichten erzählen konnte. Darauf zog sie sich unmittelbar in ihr Zimmer zurück; es ging über ihre Kraft, den Abend mit ihrer Tante zu verbringen. Den ganzen Abend über – allein – stellte sie sich Fragen. Ihre Beunruhigung war fürchterlich; aber war sie denn ein Produkt ihrer Einbildung, hervorgerufen durch eine übersteigerte Sensibilität – oder handelte es sich um völlig klare Wirklichkeit, und war das Schlimmste, das überhaupt möglich war, tatsächlich eingetroffen? Mrs. Penniman verlegte sich mit einem ebenso ungewöhnlichen wie rühmlichen Maß
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