Wasser für die Elefanten - Gruen, S: Wasser für die Elefanten
mit dem silbernen Knauf. Ich lese ihm
von den Lippen die polnischen Befehle ab, die er auswendig gelernt hat.
Marlena tanzt noch einmal einen Kreis durch die Manege, bevor sie
neben der kleineren Kugel stehen bleibt. August führt Rosie in die Mitte der
Manege. Marlena sieht zu und wendet sich dann ans Publikum. Mit übertriebener
Erschöpfung bläst sie die Wangen auf und wischt sich mit der Hand über die
Stirn. Dann setzt sie sich auf den Ball, schlägt die Beine übereinander, stützt
die Ellbogen auf und legt das Kinn in die Hände. Sie wippt mit dem Fuß und
verdreht die Augen. Rosie beobachtet sie lächelnd, den Rüssel hoch erhoben. Im
nächsten Moment dreht sie sich langsam und lässt ihr enormes, graues Hinterteil
auf den größeren Ball sinken. Ein Lachen fährt durch die Menge.
Marlena stutzt, steht auf und reißt in gespielter Wut den Mund auf.
Dann dreht sie Rosie den Rücken zu. Die Elefantendame steht ebenfalls auf und
kehrt Marlena schlurfend den Schwanz zu. Die Menge brüllt begeistert.
Marlena blickt mürrisch über die Schulter. Mit einer dramatischen
Geste stellt sie einen Fuß auf ihre Kugel. Dann verschränkt sie die Arme und
nickt einmal kräftig, als wolle sie sagen: Da hast du’s, Elefant!
Rosie krümmt den Rüssel, hebt den rechten Vorderfuß und stellt ihn
sachte auf ihre Kugel. Marlena wirft ihr wütende Blicke zu. Dann streckt sie
beide Arme seitlich aus und nimmt den anderen Fuß vom Boden. Langsam drückt sie
das eine Knie durch, während sie das andere Bein wie eine Ballerina mit
gestreckten Zehen zur Seite hält. Als ihr Bein gerade ist, senkt sie den
zweiten Fuß ab, sodass sie auf der Kugel steht. Ihr breites Lächeln zeigt, dass
sie sicher ist, den Elefanten jetzt endlich übertrumpft zu haben. Das Publikum
ist ebenfalls davon überzeugt und klatscht und pfeift. Marlena wendet Rosie
langsam den Rücken zu und hebt siegessicher die Arme.
Rosie wartet einen Augenblick, bevor sie ihren anderen Vorderfuß auf
den Ball stellt. Die Menge explodiert. Nach kurzem Zögern blickt Marlena über
die Schulter. Dann dreht sie sich wieder zu Rosie um und stemmt die Hände in
die Hüften. Mit überdeutlichem Stirnrunzeln schüttelt sie frustriert den Kopf. Sie
droht Rosie mit dem Finger, erstarrt jedoch gleich darauf. Dann erhellt sich
ihre Miene. Sie hat eine Idee! Sie reckt den Finger hoch in die Luft und dreht
sich herum, damit das gesamte Publikum merkt, dass sie den Elefanten ein für
alle Mal ausstechen wird.
Sie sieht auf ihre Satinschläppchen und konzentriert sich kurz. Zu
einem anschwellenden Trommelwirbel fängt sie an, den Ball vorwärts zu rollen.
Immer schneller und schneller rollt sie den Ball durch die Manege, ihre Füße
sind nur noch unscharf zu erkennen, und das Publikum klatscht und pfeift. Dann
bricht es in wilde Entzückensschreie aus …
Marlena bleibt stehen und sieht sich um. Sie war so auf ihre Kugel
konzentriert, dass sie das absurde Schauspiel hinter sich nicht bemerkt hat.
Der Dickhäuter thront auf der größeren Kugel, alle vier Füße eng nebeneinander
und mit gewölbtem Rücken. Wieder setzt der Trommelwirbel ein. Zuerst geschieht
nichts. Dann beginnt die Kugel, sich langsam unter Rosies Füßen zu drehen.
Der Kapellmeister gibt ein schnelleres Tempo vor, und Rosie rollt
die Kugel vier Meter weit. Marlena strahlt vor Freude, sie streckt Rosie die
Arme entgegen und fordert für sie den Jubel der Menge ein. Dann springt sie von
ihrer Kugel hinunter und läuft hinüber zu Rosie, die deutlich vorsichtiger von
ihrer Kugel heruntersteigt. Rosie senkt ihren gekrümmten Rüssel, Marlena setzt
sich darauf, schlingt einen Arm darum und streckt die zierlichen Füße. Rosie
hebt Marlena auf ihrem Rüssel hoch, setzt sie sich auf den Kopf und verlässt
das Chapiteau unter den Beifallsrufen der bewundernden Menge.
Und dann setzt der Geldregen ein – der ach so süße Geldregen. Onkel
Al ist ganz von Sinnen, er steht in der Mitte des Hippodroms, streckt Arme und
Gesicht empor und badet in den Münzen, die auf ihn niederregnen. Er hält sein
Gesicht auch noch empor, als Münzen von seinen Wangen, seiner Nase und seiner
Stirn abprallen. Ich glaube fast, er weint sogar.
Achtzehn
Ich erreiche Marlena, als sie von Rosies Kopf
heruntergleitet.
»Du warst wunderbar! Wunderbar!«, sagt August und küsst sie auf die
Wange. »Hast du das gesehen, Jacob? Hast du gesehen, wie wunderbar sie waren?«
»Aber sicher doch.«
»Tu mir einen Gefallen und bring Rosie zurück, ja?
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