Wasser-Speier
geworden war – und weil sie selbst eine Tochter großgezogen hatte, so daß sie um die Tücken dieser Au f gabe wußte. Sie empfand es als halbwegs angenehm, diese Rolle noch einmal zu durchleben, und wenn man von ihrer ungezügelten Macht einmal absah, war Überraschung ja auch ein äußerst li e benswürdiges Kind. Die Ungezügeltheit war verschwunden, als sie erst einmal die Beschränktheit ihrer Macht begriffen hatte. Überr a schung war keine phänomenal mächtige Magierin, sondern nur eine zeitlich beschränkte Zauberin, die im Laufe der Jahre immer mehr an Macht einbüßen würde. Die Gesetzmäßigkeiten, welche über die persönlichen Talente herrschten, wären dadurch nicht verletzt worden, wenngleich ihre Interpretation eine gewisse De h nung erfahren hatte.
»Weißt du zufällig, wo wir den Philter finden könnten?« fragte Iris.
»Nein, Mutter«, erwiderte das Kind.
»Kannst du vielleicht irgendeine Magie wirken, die uns hilft, den Philter zu finden? Beispielsweise, dich um die eigene Achse drehen und mit dem Finger in die richtige Richtung zeigen?« Das war das Talent des Soldaten Crombie.
»Na klar.« Überraschung drehte sich um ihre Achse und streckte eine Hand aus.
Iris’ Blick folgte der zeigenden Hand. Sie schien auf den Teich zu deuten. Dort waren sie bereits gewesen. Aber es war zweifellos ein gut geeigneter Ort für eine derartige Apparatur.
Sie setzten sich in Bewegung, schlugen dabei die angezeigte Ric h tung ein. Schon bald standen sie am Ufer des Teiches. »Es dürfte nur schwierig werden, unter Wasser danach zu suchen«, meinte Iris. »Kannst du vielleicht das Wasser für eine Weile aus dem Weg schaffen?«
»Na klar.« Überraschung konzentrierte sich, und das Wasser machte einen Buckel, zappelte ein wenig herum und formte sich zu einer riesigen, schmalzkringelförmigen Blase, die sich aus dem Teichbett erhob. Dort blieb sie schweben und dehnte sich sanft aus.
»Können wir uns wirklich unbeschadet darunter begeben?« wol l te Iris wissen.
»Na klar«, erwiderte das Kind. »Glaube ich jedenfalls.«
Iris beschloß, sich darauf zu verlassen. Die Magie des Kindes war zwar ungezügelt, aber zweifellos stark. Inzwischen benutzte das Mädchen sie auch mit größerer Vorsicht und Selbstbeher r schung. Sollten sie den Philter auf diese Weise finden, würde das die geringfügige Verminderung der dem Kind verbliebenen Tale n te vollauf rechtfertigen.
Sie marschierten ins trockene Bett des Teiches. Dort gab es Ki e selsteine und Steinsplitter und Felsabschläge, dazu Mineralbrocken und etwas Geröll. Übrigens auch einige mundanische Münzen. Wie waren die nur hierher gekommen? Von allein konnte sie sich nicht bewegt haben, und freiwillig hatte sie bestimmt auch ni e mand in den Teich geworfen, denn die Mundanier waren notorisch geizig, was ihr Geld anging. Doch weit und breit war kein Philter zu sehen. »Vielleicht befindet er sich ja auf der Insel«, meinte Iris.
Sie betraten die Insel und begaben sich in das Gebäude. Dort stand das Podest, auf dem die Wasserspeierin zu ruhen pflegte, nur daß Gayle im Augenblick nicht da war. »Sie ist mit Gary gega n gen«, sagte Überraschung.
»Na ja, das bedeutet immerhin, daß sie nicht der Philter ist«, sagte Iris mit gezwungenem Lächeln. Sie war bis zu diesem Augenblick noch gar nicht auf diesen Gedanken gekommen; um so mehr e r leichterte sie diese Erkenntnis. Soweit sie es mitbekommen hatte, war die Wasserspeierin ein recht nettes Wesen. Es wäre grauenhaft gewesen, hätte Überraschung ausgerechnet Gayle als den Dämon ausgemacht. Das hätte durchaus einen Sinn ergeben; schließlich stellte ein Wasserspeier ja tatsächlich eine Art Filter dar, und a u ßerdem war Gayle gerade hier einer eben solchen Tätigkeit nac h gegangen.
Sie suchten weiter, doch die Insel war leer. Da war nichts, was auch nur im entferntesten einem Philter glich.
Da fiel Iris wieder ein, was das Problem mit Crombies Talent war: Es zeigte niemals an, wie weit das Gesuchte entfernt war. Folglich hatten sie ihre Zeit hier nur vertan, während der Philter sich in Wirklichkeit wahrscheinlich weit entfernt von dieser Stelle aufhielt.
Also gingen sie weiter und stiegen am gegenüberliegenden Ende des Teiches ans Ufer. Das Wasserschmalzkringel schwebte noch immer in der Luft. »Jetzt kannst du das Wasser wieder herunterh o len, Liebes«, sagte Iris.
»In Ordnung.« PLATSCH! Das Wasser klatschte in die Mulde. Das Gespritzte durchnäßte sie beide. »Hoppla«, machte
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