Wasser-Speier
alles genau so, wie sie es haben wol l te, samt einem wunderschönen Palast mit Gärten und Springbru n nen und allem, was dazugehörte. Sie hatte ihre Macht und ihre Kontrolle durch Übung verfeinert und vermehrt, war jede Einze l heit mehrmals durchgegangen, bis sie alles genau richtig gemacht hatte. Doch irgendwie schien die Erregung wieder abzuflauen, nachdem sie alles in sämtlichen aufregenden Einzelheiten erscha f fen hatte. Anstatt sich ein ideales Heim zu bauen, hatte sie sich in Wirklichkeit selbst in einem Nichts eingesperrt.
Doch Iris war eine Frau von großer Entschlußkraft. Also unte r nahm sie etwas dagegen. Sie versorgte sich mit ausreichenden Vo r räten und begab sich zum König.
»Bitte, Euer Majestät«, flehte sie, nachdem sie ihre Unzufriede n heit kundgetan hatte, »gebt mir etwas zu tun. Irgend etwas. Ich bin eine Zauberin und kann mich bestimmt irgendwo nützlich m a chen.«
Der Sturmkönig war huldvoll gewesen. »Iris, die einzige Mö g lichkeit, sich selbst zu finden, besteht im Dienst an anderen.«
»Das verstehe ich nicht. Ich habe noch nie etwas für andere g e tan, wenn ich es nicht mußte.«
»Ganz genau. Und deshalb – weil ich ein barmherziger und nicht völlig stumpfsinniger König bin – gewähre ich dir die Erfüllung deines Wunsches. Ich schicke dich auf eine selbstopfernde, ve r deckte Mission in den Untergrund.«
Iris war sich nicht sicher, ob ihr dieser Vorschlag gefiel. »Unter Decken? Damit komme ich schon zurecht. Aber im Untergrund gibt es Kobolde und solche Dinge!«
Der Sturmkönig musterte sie, als wäre sie ein bißchen blöde, womit er nicht ganz daneben lag. »In Xanth gibt es einen unmor a lischen, ungesetzlichen, schmutzigen, verabscheuungswürdigen, abstoßenden und ganz allgemein widerlichen Sklavenhandel«, fuhr er fort. »Genaugenommen billige ich ihn nicht besonders und wünsche, daß ihm ein Ende gesetzt werden möge. Deshalb möc h te ich, daß du deine Kraft der Illusion dazu einsetzt, diese mensc h lichen Kakerlaken davon zu überzeugen, daß du – obwohl eine erfahrene, intelligente, erwachsene Frau im gewissen Alter – zugleich ein reifer Pfirsich zu sein scheinst, der nur darauf wartet, gepflückt zu werden.«
»Ein Pfirsich«, wiederholte Iris und umhüllte ihren Leib mit einer riesigen Frucht.
Der König runzelte die Stirn. »Vielleicht habe ich mich nicht deutlich genug ausgedrückt. Dann bitte ich um Verzeihung.« A l lerdings sah er Iris dabei nicht besonders reumütig an. »Mit and e ren Worten, du wirst dein Aussehen dergestalt verändern, daß du jung, schön, naiv und wie frisch von den Jungferninseln e r scheinst.«
Oh. Iris verfügte zwar über eine gewaltige Illusionskraft, doch diese Inseln würden ihr für immer versperrt bleiben. Nicht nach jener Episode vor drei Jahren, als sie… na, egal.
»Ich…«
»Das entscheidende Wort dabei lautet erscheinen«, gemahnte der König sie streng. »Ich denke, deine Illusionskraft sollte ausreichen, um wenigstens äußerlich einen solchen Schein herzustellen, so groß diese Herausforderung auch sein mag.« Er legte die Stirn in Falten. »Ich muß dich aber auch darauf hinweisen, daß diese Mi s sion sehr riskant ist. Du könntest dabei dein Leben verlieren, deine Liebe oder sogar deine Seele. Bitte hier unterschreiben.« Er breit e te ein Stück Pergament vor ihr aus.
Das schien ihr ein ziemlich hoher Preis zu sein, um ihre Einsa m keit erträglicher zu machen. Andererseits wußte sie, daß ihr Opfer keineswegs so groß sein konnte, wie der König befürchtete, weil sie nämlich gar keine Liebe zu verlieren hatte. Deshalb unte r schrieb sie das Freistellungsformular.
Nun folgten einige halbwegs langweilige Ereignisse, die sich u n beschadet übergehen ließen. Es genügte die Zusammenfassung, daß Iris’ angestrengtes Bemühen um jungfräuliche Illusion schlie ß lich von Erfolg gekrönt war und Piraten sie gefangennahmen, um sie an Sklavenhändler weiterzuverkaufen. Dort fand sie sich in Gesellschaft junger Frauen und Kinder wieder, die alle von ihrem eigenen Schicksal völlig benommen waren. Iris marschierte z u sammen mit dem Rest der glücklosen Gefangenen über die Lau f planke durch die Dünen der »Drei Schwestern« bis zur »Schwarzen Heide« und auf den Zentralplatz einer steinernen Ruinenstadt, die von gewundenen, flüsternden Kudzu-Lianen überwuchert war. In der Stadt schien es graue, silbrige, steinerne Wasserspeier jeglicher Größe, Gestalt und Häßlichkeit zu geben,
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