Wasser-Speier
Überr a schung. »Ich werde uns abtrocknen.« Plötzlich öffnete sich im Boden zu ihren Füßen ein vergitterter Schacht, aus dem heiße Luft aufstieg. Iris spürte, wie ihre Kleidung getrocknet wurde.
»Das ist sehr schön, Liebes«, meinte Iris und preßte ihr Kleid hastig herunter. Leider war der Luftstrom aber so heftig, daß die erwünschte Wirkung zum größten Teil ausblieb. Sie schaffte es gerade noch zu verhindern, daß ihre Höschen bloßgelegt wurden. Gut, daß keine Männer in der Nähe waren! Andererseits wäre das vielleicht auch nicht so schlimm gewesen; denn immerhin befand sie sich ja jetzt wieder in einem dreiundzwanzigjährigen Körper. Man konnte Männer zu manchem bringen, indem man scheinbar zufällig das richtige Material offenlegte. »Aber du solltest dein T a lent lieber für Gelegenheiten aufsparen, da sie wirklich gebraucht werden.«
»Ach so, ja«, sagte Überraschung niedergeschlagen.
Als sie wieder trocken waren, setzten sie ihren Marsch in die a n gezeigte Richtung fort. So erreichten sie den Bahnhof. Dort erwa r tete sie eine Gedankenbahn, die ein Schild mit der Aufschrift VERGANGENHEIT trug.
Iris war erstaunt. »Meinst du, du hast vielleicht auf diese Bahn gezeigt?« wollte sie wissen.
»Vermutlich«, erwiderte das Kind.
»Ich frage mich gerade, ob die Anzeige wörtlich oder bildlich zu nehmen ist.«
»Was?«
»Ob der Philter sich an Bord dieses Zuges befindet, oder ob wir seinen Standort dadurch in Erfahrung bringen können, daß wir über die Vergangenheit nachdenken.«
»Ach so. Dann fahren wir doch lieber mit der Bahn. Das macht Spaß.«
Achselzuckend willigte Iris ein. Diese Möglichkeit schien ihr g e nausoviel oder ebensowenig erfolgversprechend zu sein wie alle anderen auch.
Sie bestiegen den nächstbesten Wagen und nahmen darin Platz. Dann schauten sie aus dem Fenster, während der Zug sich in B e wegung setzte. Iris wußte, daß dies das Werk des Philterdämons war, weil es nicht ihren eigenen Bemühungen entsprang. Der Zug war natürlich eine Illusion; in Wirklichkeit hatten sie sich nur in eine Steinnische begeben und sahen jetzt auf Schirmbilder, die sich dahinter abspielten. Doch Iris wollte Überraschung, die ja noch immer über die unschätzbare Fähigkeit kindlichen Staunens ve r fügte, nicht die Freude daran nehmen. Iris erinnerte sich daran, wie auch sie diese Freude empfunden hatte – damals, vor siebenun d achtzig Jahren, als sie selbst in diesem Alter gewesen war.
Hinter ihnen verschwand die Stadt Scharnier, und sie fuhren durch eine anziehende Landschaft weiter. Es erinnerte Iris an die Reisen ihrer Jugend, und Wehmut überfiel sie, ja, trieb ihr sogar eine Träne ins Auge.
Dann kamen sie an einem See vorbei, auf dem eine in Nebel g e hüllte Insel lag. Das erinnerte Iris an die neblige Insel der Illusion, wo sie so lange für sich allein gelebt hatte. Dort hatte sie zwar in jeder Hinsicht ihren Willen bekommen, war dafür aber auch sehr einsam geblieben. Diese Erinnerung war recht schmerzlich.
»Das ist langweilig«, meinte Überraschung, nachdem sie der Landschaft nichts Neues mehr abzugewinnen vermochte.
»Vielleicht liegt es daran, daß deine Vergangenheit kürzer ist als meine«, sagte Iris mit gemischten Gefühlen.
»Stimmt. Ich bin ja erst seit einem Jahr in Xanth«, bestätigte das Kind. »Du dagegen bist schon seit ewigen Zeiten hier. Wie war das eigentlich damals, als du wirklich noch so jung warst, wie du heute aussiehst?«
»Ach, das interessiert dich doch bestimmt nicht!«
»Na ja, langweiliger als das hier kann es auch nicht sein.« Gut g e brüllt! »Dann will ich es dir erzählen. Aber du Brauchst nicht z u zuhören, wenn es dich langweilt.«
»In Ordnung. Vielleicht schlafe ich ja einfach ein.« Iris begann zu erzählen, erinnerte sich an eine Episode aus ferner, ferner Verga n genheit: damals, als sie zum erstenmal dreiundzwanzig Jahre alt gewesen war und noch über einen sehr viel größeren Vorrat an Unschuld verfügte, als es danach jemals wieder der Fall gewesen war. Während sie sprach, schien es ihr, als würde sie alles noch einmal durchleben, und zwar mit allen ihren frühen, naiven Gefü h len und Stimmungen.
Nachdem Iris sich auf der Insel der Illusion niedergelassen hatte, trieben die Isolation und die Einsamkeit sie beinahe in den Wah n sinn. Dabei war sie sich so sicher gewesen, daß es ihr hier gefallen würde: Hier, wo niemand sie stören oder an ihren Illusionen etwas aussetzen konnte. Hier wurde
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