Wasser-Speier
und führte sie einen quälenden, mü h seligen Weg entlang. Iris schätzte, daß sie inzwischen schon längst den Speisesaal hätten erreichen müssen, selbst wenn man alle Umwegigkeiten berücksichtigte, doch sagte sie lieber nichts, um die Kinder nicht zu beunruhigen. Sie wagte gar nicht daran zu denken, daß sie sich verirrt haben könnten.
Dann erspähte sie in einiger Entfernung ein mattes Licht. Iris drosselte ihr eigenes Illusionslicht, damit die Sklavenjäger es nicht bemerkten, und stapfte dem echten Licht entgegen, gefolgt von den Kindern. Der Sturm um sie herum wurde immer heftiger, als wollte er sie daran hindern, ihr Ziel zu erreichen. Eine eisige Bö aus Schneeluft schoß Iris in die Lungen, daß ihr Atem darin krista l lisierte. Sie ging in die Knie und keuchte.
Doch sie mußte den Kindern ein Beispiel sein, und so legte sie die Hände auf den Boden und kroch auf allen vieren auf das Licht zu, näherte sich langsam den riesigen, schweren Holztüren des Gebäudes. Die Kinder krochen ihr nach.
Da zögerte Iris: Das sah aber gar nicht aus wie der Speisesaal! Es schien ein fremdes unbekanntes Gebäude zu sein. Aber hier dra u ßen konnten sie auch nicht bleiben, und ihre Gliedmaßen waren bereits zu taub, um sie noch einmal woandershin zu tragen. Sie mußten es einfach riskieren.
Während sie sich auf die Beine kämpfte, besserte Iris gleichzeitig ihre Illusion aus. Sie verlieh sich selbst das Aussehen einer Damsell in Not, während die Kinder nun wie süße, kleine Waisenmädchen in noch viel schlimmerer Not aussahen. Tatsächlich entsprach das ja sogar der Wahrheit; deshalb brauchte Iris nur mit leichter Hand ein wenig nachzuhelfen, damit jeder, der an die Tür kommen sol l te, sie alle furchtbar betörend und herzzerreißend finden mochte.
Sie beschwor einen Illusionsspiegel herauf, um im Licht seiner Reflexion ihr Dekollete zu richten, damit es etwas mehr quelle n den Busen und einen tiefen Ausschnitt zeigte. Schließlich ballte sie die tauben Hände zu Fäusten und prügelte damit auf die Türkli n gel ein, ohne daß es ihr jedoch gelang, die darauf verharschte Ei s schicht zu durchbrechen. So versuchte sie es statt dessen damit, die Knöchel gegen die Tür zu schlagen, doch die waren ebenfalls zu taub geworden, um auch nur das leiseste Geräusch zu machen. Statt dessen trat sie nun gegen die Tür und schaffte es mit ihrem zarten Damenpantoffel tatsächlich, ein schwaches, feminines Klopfen zustande zu bringen.
Da öffnete sich die Tür endlich knarzend einwärts. Vor ihnen stand eine alte Magd. »Ach, du bist das, Iris!« sagte die Magd. »Was machst du denn hier draußen, mit tauben Knöcheln und vereistem Ausschnitt?«
»Elster!« rief Iris. Denn es schien ihre alte Dämonenzofe zu sein, die sie einst aufgezogen hatte, bis aus Iris eine ziemlich blutarme junge Maid geworden war.
»Dicht dran«, meinte die andere. »Ich wollte nur mal sehen, wie es dir so geht. Du scheinst dich ja in eine interessante Erinnerung eingesponnen zu haben.« Da verschwand sie auch schon wieder.
Iris versuchte sich zu überlegen, was Mentia eigentlich in ihrer Erinnerung zu suchen hatte, doch ihr gefrorener Verstand war dieser Aufgabe nicht so recht gewachsen. Also nutzte sie statt de s sen die offenstehende Tür, um einzutreten, gefolgt von Überr a schung und den anderen Kindern. Überhaupt – was tat Überr a schung eigentlich hier? Die würde doch erst sieben Jahrzehnte später vom Storch abgeliefert werden! Doch es spielte keine Rolle, solange der Bau ihnen nur etwas Wärme versprach.
Als die Kinder alle eingetreten waren, schob Iris die Tür zu und sperrte damit den furchtbaren Sturm aus. Sofort gewannen ihre Gliedmaßen ihre Wärme zurück, und auch die Kinder sahen schon gleich viel besser aus.
Aber was war das nun für ein Gebäude? Würden sie hier übe r haupt willkommen sein? Oder war es vielleicht nur der Vorspann zu einem noch viel schlimmeren Unheil?
Iris beschloß, alles auf eine Karte zu setzen. »Das hier sieht mir aus wie ein fremdes Haus«, flüsterte sie den Kindern zu. »Wo die Sklavenjäger nichts zu sagen haben. Ich werde unsere Ketten a b streifen.« Und sofort lösten sich die Illusionshandschellen und -ketten in Luft auf.
Sie vernahmen Fußgetrappel draußen im Gang vor der Tür. Iris schönte noch einmal ihre illusionäre Busenlinie, weil dies ihre be s te Verteidigung war. Ein Mann erschien, ein großes Schwert in der Hand. Er blieb stehen und musterte Iris’ künstlerisch
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