Wasser-Speier
ben mußte, als ich achtlos durchs Gestrüpp gebrochen war. Ich holte den Zweig hervor und ließ ihn auf den Baumstumpf zu ro l len. »Da ist sie«, sagte ich. Dann mache ich kehrt und rannte von der Lichtung, ohne daß der Vorsitzende noch einmal versuchte, mich daran zu hindern.
Doch noch hatte ich den Wald nicht hinter mich gebracht. Be i nahe wäre ich über einen weiteren Sitz gestolpert. Aber es war kein gewöhnlicher Sitz; denn er bestand ausschließlich aus Mensche n armen. »Du mußt mit dem Vorsitzenden verwandt sein«, meinte ich und versuchte, vorsichtig am Stuhl vorbeizukommen.
»Natürlich bin ich das«, erwiderte er. »Ich will an der Versam m lung teilnehmen.«
Mir kam der Gedanke, daß es reichlich merkwürdig war, einen solchen Stuhl sprechen zu hören. Andererseits hatte der Vorsi t zende ja auch gesprochen; also mußte es wohl etwas ganz Norm a les sein. »Der Versammlungsort befindet sich auf der Lichtung hinter mir«, erklärte ich.
»Danke.« Der Armstuhl bewegte die Finger an seinen nach unten deutenden Armen und spazierte darauf zur Lichtung. Doch plöt z lich hielt er inne. »Versuchst du, von hier fortzukommen?« erku n digte er sich.
»Ja«, antwortete ich. »Woher weißt du das?«
»Ohne beleidigend werden zu wollen, möchte ich doch darauf hinweisen, daß du ein sehr seltsames Wesen bist. Deshalb hab’ ich sofort gewußt, daß du nicht hierher gehörst. Aber da du so höflich warst, mir weiterzuhelfen, will ich es ebenfalls tun. – Du mußt eine Armweste tragen, wenn du hier rauswillst.«
»Eine Armweste?« fragte ich verständnislos.
»Ja. Es ist schwierig, dieses Gebiet zu verlassen, wenn man nicht mit genügend Armen ausgerüstet ist. Du hast nur zwei. Aber hi n ter dir hängt zufällig eine solche Weste. Zieh sie einfach an, dann müßte alles in Ordnung gehen.«
Ich blickte mich um und wäre vor Schreck fast aus den Schuhen gesprungen: Da hing tatsächlich eine Masse von Armen, die mich beinahe berührten.
Dann aber wurde mir klar, daß dies keine normale Situation war. Also nahm ich all meinen Mut zusammen und packte die Masse. Die Arme waren miteinander verbunden und bildeten eine grobe Weste. Die warf ich mir über die Schultern. Sie war zwar schwer, aber nicht unbequem.
»Danke schön«, sagte ich zu dem Armstuhl.
Dann schlug ich die Richtung ein, von der ich hoffte, daß sie mich ins Freie führen würde. Doch kurz darauf stürmten G e strüpp und Laubwerk so dicht auf mich ein, daß jedes Weite r kommen unmöglich wurde. Da aber reagierte meine Armweste. Die Arme zappelten und griffen um sich, packten Zweige, Äste, Disteln, Dornen und Stacheln ebenso wie nicht identifizierbare Hindernisse, um sie für mich aus dem Weg zu schieben, zu biegen, zu drehen, zu stemmen und zu reißen. Ich schritt vorwärts, immer geradewegs in die Bresche hinein. Bald hatte ich das normalerweise undurchdringliche Dickicht hinter mir gelassen.
»Danke, Armweste«, sagte ich erleichtert und blickte an mir he r ab. Doch meine Weste hatte sich inzwischen verwandelt und b e stand nur noch aus miteinander verflochtenen Stöcken und Zwe i gen.
Nach kurzer Verwirrung wurde mir klar, was geschehen war: Die Weste hatte ihre eigenartige Magie eingebüßt. Das wiederum mu ß te bedeuten, daß ich das Gebiet des Wahnsinns hinter mir gelassen hatte. Die Armweste hatte ihr Leben dafür gegeben, mich ins Freie zu bringen.
Ich streifte sie ab, wobei ich sorgfältig darauf achtete, nichts zu beschädigen. »Ich werde für dich das gleiche tun, was du für mich getan hast«, erklärte ich. »Ich werde dich in deine heimische U m gebung zurückbringen.« Dann schleuderte ich sie in Richtung z u rück, aus der ich gekommen war.
Ich sah, wie die Weste zu Boden fiel. Doch schon während der Landung veränderte sie sich in eine Masse aus menschlichen Be i nen. Sie war zu einer Beinweste geworden. Vielleicht hatte der Wind innerhalb des Wahnsinns ja gedreht und eine andere Spielart der Magie herbeigeweht. Eins der Beine trat, wie es schien, in w o genförmigen Bewegungen aus; dann rannte die Weste auch schon ins Dickicht davon.
Ich hatte es also geschafft, dem Gebiet des Wahnsinns zu en t kommen. Doch es gab keinen Zweifel daran, daß ich großes Glück gehabt hatte. Ich war zu klug, als daß ich noch einmal in das G e biet vorgedrungen wäre. Das nächste Mal würden die verrückten Dinge möglicherweise nicht mehr so freundlich mit mir umspri n gen.
Ich konnte Desiree also nicht erreichen. Das
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