Wasser-Speier
Sorge stets diskret vorzutragen, meine Schwester Lacuna dagegen ging sehr gro b schlächtig vor. Eines Tages erschien vor mir auf dem Tisch die Druckschrift: MAGST DU KEINE MÄDCHEN?
Genau das war die Frage. »Ich kenne schon ein Mädchen, das ich mag«, erklärte ich. »Ich kann es nur nicht finden.«
Dann erzählte ich meiner Mutter und Lacuna die ganze G e schichte. Meine Mutter war entsetzt. »Eine Dryade! Wie konntest du nur?«
»Ich wußte doch gar nicht, was da auf mich zukam«, entgegnete ich. »Für mich war sie nur eine Frau, eine Erwachsene, die mich wie ein Kind behandelte. Sie fragte mich, was ich später mal mit meinem Leben anfangen wolle, wenn ich erwachsen sei. Also hab’ ich’s ihr gesagt, worauf sie mir ihre Schönheit offenbarte und ve r schwand.«
»Du hast ihr davon erzählt, was für eine schlechte Meinung du von Frauen hast«, meinte meine Schwester vorwurfsvoll. »Daß wir nur gut genug dafür sind, Teller zu spülen und das Haus sauberz u halten.«
»Na klar. Das stimmt ja auch, oder nicht?«
Millie und Lucana wechselten einen Blick, der schon annähernd zweieinhalb Blicke lang war. Dann fuhr meine Schwester fort: »Deshalb gelangte sie zu dem Schluß, daß du wahrscheinlich nicht gerade der Traum aller Frauen Xanths bist und deshalb lieber gar nicht erst heiraten solltest. Und genau dafür hat sie nun gesorgt. Wie man sieht, mit Erfolg.«
Allmählich ging mir ein Licht auf. So nymphengleich sie auch gewesen sein mochte – Desiree war schließlich eine Frau. »Dann bin ich wohl zum Junggesellendasein verdammt«, erklärte ich. »Weil es keine sterbliche Frau gibt, die ich heiraten möchte.« A n dererseits war ich inzwischen an einem Punkt angelangt, da ich mir wünschte, daß Desiree mich niemals so angesehen und mir ihre Schönheit offenbart hätte. Tatsächlich hatte sich damit jede spätere Liebschaft unmöglich gemacht, auf die ich mich sonst vielleicht eingelassen hätte. Keine sterbliche Frau sollte unter meiner Wel t anschauung zu leiden haben.
Millie seufzte. »Es scheint keinen anderen Ausweg zu geben. Du mußt sie einfach finden.«
Wie gern ich das getan hätte! »Aber wie? Ich finde den Weg nicht wieder!«
»Es hat auch keinen Zweck, jetzt jeden Eichelbaum in Xanth a b zusuchen«, fügte Lacuna hinzu. »Es könnte gut passieren, daß du glatt daran vorbeigehst, ohne ihn zu bemerken, nur weil sie ihn dir nicht persönlich zeigt.«
»Aber ich habe mir ihren Baum doch genau angesehen«, wandte ich ein. »Ich würde ihn schon wiedererkennen, wenn ich ihn nur fände. Und ich kenne auch die ungefähre Gegend, wo er steht – südwestlich von hier, so weit, wie Doofus eben laufen kann.«
»Dann gibt es vielleicht doch noch eine Chance. Nimm Doofus und reite dorthin. Dann laß ein paar Augen und Ohren wachsen, damit sie dir mitteilen, was sie gehört und gesehen haben.«
»Daran habe ich ja noch gar nicht gedacht!« rief ich.
»Weil sie es nicht wollte«, erklärte Lacuna. »Du solltest dich zwar an sie erinnern, nicht aber daran, wo sie lebt. Doch inzwischen ist einige Zeit vergangen, und die Nebenmagie hat sich abgenutzt. Deshalb hast du jetzt eine Vorstellung davon, wie es doch gehen könnte. Aber selbst wenn du ihren Baum ausfindig machen sol l test, heißt das noch lange nicht, daß sie sich dir zeigt.«
»Wenn ich den Baum einmal gefunden habe, werde ich mich ei n fach dorthin begeben und sie anflehen, sich zu mir zu gesellen«, sagte ich. »Sie wird mich erhören müssen!«
»Und wenn sie es nicht tut«, ergänzte Lacuna bösartig, »kannst du ja damit drohen, ihren Baum zu fällen!«
Mir war, als hätte sich plötzlich ein Pfeil in mein Herz gebohrt. »O nein, das würde ich niemals fertigbringen! Nie könnte ich ihr wehtun! Ich liebe sie doch!«
»Ich habe ja nicht gesagt, daß du es auch tun sollst!« versetzte L a cuna. »Ich habe nur gesagt, du sollst ihr damit drohen. Damit sie sich dir zeigt.«
»Ich könnte ihr nicht einmal drohen«, antwortete ich, denn der Schmerz wollte nicht nachlassen.
»Also gut, dann eben ohne Drohungen«, entschied Millie. »Aber du könntest wenigstens versuchen, den Baum ausfindig zu m a chen. Vielleicht erscheint sie ja doch, wenn du sie darum bittest. Es hört sich nicht so an, als wäre sie von der schlimmen Sorte. Im Grunde verstehe ich ihre Einstellung sogar. Wenn du sie ausfindig machst und dich entschuldigst, macht sie vielleicht einen Rückzi e her.« Stirnrunzelnd schaute sie mich an. »Aber du mußt auch wi s sen,
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