Wassergeld
verschmiert, das Mobiliar speckig und die Fenster ließen schätzungsweise nur noch jeden siebten Lichtstrahl durch. Er bot uns Stühle an, doch angesichts der herrschenden Zustände verzichteten wir darauf, uns zu setzen.
»Ben war mein bester Mann«, begann Linde und stopfte sich dabei eine Pfeife. »So einen Schiffsführer findet man nicht alle Tage. Er konnte einfach alles. Wenn –«
Das Telefon unterbrach seine Klagen. Nach dem ersten Klingeln hatte Linde den Hörer am Ohr.
»Nein, Bernd. Ich habe keine Zeit, ich bin in einem Meeting. Wenn ich fertig bin, rufe ich zurück, okay?« Er legte das Telefon zurück in die Ladeschale. »Entschuldigen Sie bitte. Aber für mich gibt es keinen Sonntag. Als Chef muss ich am Wochenende die Aufträge für die kommende Woche einteilen. Die Rendite im Rheingüterverkehr ist verdammt niedrig. Da kann ich mir nicht viel Personal leisten. Es gibt einfach zu viel Konkurrenz.« Er seufzte. »Und wenn jetzt wegen des Hochwassers noch die Schifffahrt eingestellt wird, dann kann ich bald stempeln gehen. Außerdem habe ich keine Ahnung, woher ich auf die Schnelle einen Ersatz für Ben bekommen soll.«
»Ben ist der Tote? Hat er auch einen Nachnamen?«
Er schaute mich an. »Ach so, Sie sind ja eben erst angekommen.« Er machte eine Pause und ich war mir sicher, dass er über KPDs Worte nachdachte. »Ben Kocinsky war einer meiner beiden Schiffsführer. Wir sind nur ein kleines Unternehmen mit zwei Tankmotorschiffen. Gestern hat er mit seiner Mannschaft in Karlsruhe abgeladen und abends bei Worms die Ladung wieder gelöscht. Anschließend ist er mit dem leeren Tanker zurück in den Kaiserwörthhafen gefahren. Gegen 21 Uhr haben wir zusammen als Letzte das Betriebsgelände verlassen. Als mich heute vor gut zwei Stunden der Steuermann angerufen hat, dachte ich zunächst an einen üblen Scherz, als er sagte, dass Ben erschlagen in der Halle liegt.«
Norbert Linde zog an seiner Pfeife, sodass ich eine weitere Frage stellen konnte. »Befanden sich außer Ihrem Steuermann noch weitere Mitarbeiter auf dem Gelände?«
Befriedigt nahm ich zur Kenntnis, dass Jutta mitschrieb.
»Nein, nicht dass ich wüsste. Ich habe keine Ahnung, warum Ben überhaupt hier war. Seine nächste Tour hätte er erst morgen früh gehabt.«
»Wahrscheinlich haben Sie auch keine Ahnung, warum der Steuermann im Unternehmen war?«
»Nein, das muss ich auch nicht. Er hat, genau wie Ben, einen eigenen Schlüssel für das Gelände. Wahrscheinlich musste er etwas reparieren, das kommt öfter vor. Sie müssen verstehen, er ist auch als Maschinist ausgebildet und in dem Job gibt es keine regelmäßigen Arbeitszeiten. Wenn etwas kaputt geht, muss es repariert werden. Und zwar schnellstmöglich.«
Jutta, die nach wie vor im Stehen mitschrieb, stellte ihre erste Frage: »Wie viele Mitarbeiter benötigen Sie für den Betrieb eines Frachters?«
»Das wird immer überschätzt, Frau Wagner. Trotz der Größe der Frachter braucht man nur einen Schiffsführer, einen oder zwei Matrosen und einen Steuermann, der idealerweise gleichzeitig Motorenwart ist. Bei größeren Schiffen gibt’s dann noch einen Bootsmann, einen Decksmann und mehr Matrosen. Das ist auf dem Rhein und bei unserer Frachtergröße freilich nicht nötig.«
»Das heißt, so ein 100 Meter langes Ding wird nur von drei oder vier Personen gesteuert?«
»Gesteuert wird der Frachter sogar nur von einer Person, Frau Wagner.«
»Was transportieren Sie in Ihren Frachtern? Handelt es sich um Gefahrgut?«
»Selbstverständlich. Tankmotorschiffe sind schließlich nicht dazu da, um Limonade spazieren zu fahren. Der Kaiserwörthhafen ist der größte deutsche Binnen-Gefahrgut-Umschlagshafen. Hier werden nicht nur Öl und Benzin umgeladen, sondern auch Chemikalien aller Art.«
»Auch Ethylenglykoldinitrat?«, unterbrach Jutta und ich wunderte mich, wie man solch einen Ausdruck auswendig lernen konnte. Ich hatte den Eindruck, dass Linde für eine Zehntelsekunde erschrocken zusammenzuckte.
»Ich habe keine Ahnung, was Sie damit meinen. Wenn dieser Stoff gefährlich ist, ist es wahrscheinlich, dass Sie davon bei irgendeinem Unternehmen in diesem Hafen etwas finden.«
Während Jutta schrieb, hatte ich schon die nächste Frage parat.
»Haben Sie eine Liste aller Güter, die Sie, sagen wir mal, im letzten halben Jahr transportiert haben?«
Linde legte seine Pfeife auf den Rand eines Aschenbechers, der schon lange nicht mehr geleert worden war.
»Selbstverständlich
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