Wassermanns Zorn (German Edition)
verschwand?»
Nielsen schüttelte den Kopf.
«Die Wohnung wird in diesem Moment von der Spurensicherung untersucht. Sie lebte in Braunschweig, also kaum zwei Autostunden von hier entfernt.»
Nielsen stockte, und sein Blick verlor sich kurz im Nirgendwo. Als er fortfuhr, klang seine Stimme leise und bedächtig.
«Der Täter hat das alles sehr genau geplant. Sein Zorn auf Stiffler muss unglaublich groß sein, und ich habe das deutliche Gefühl, dass er noch nicht besänftigt ist. Wir werden also auf jeden Fall mit Eric sprechen müssen, Suspendierung hin oder her. Vielleicht kennt er mögliche nächste Opfer und rückt jetzt endlich mit der Sprache raus … Er hat ja nichts mehr zu verlieren.»
Manuela nickte und legte die Mappe auf die vordere Kante des Schreibtisches.
«Wollen Sie … Willst du es lesen?»
Nielsen schüttelte den Kopf.
«Fass mir die wichtigsten Details zusammen», sagte er, lehnte sich zurück und rieb sich die Augen.
Manuela ließ die Mappe geschlossen und begann:
«Am 23. Juli 2009 wurde die dreiundzwanzigjährige Susan Hoffmann getötet. Jemand drang in die Wohnung ein, die sie gemeinsam mit ihrer Freundin, Lavinia Wolff, bewohnte, und ertränkte sie in der Badewanne. Es gab keine Einbruchsspuren. Es gab keine Anzeichen von sexueller Gewalt. Die Freundin war zu der Zeit nicht anwesend, hat aber später den Leichnam des Opfers gefunden und die Polizei informiert. Eric Stiffler war als leitender Ermittler vor Ort und hat die Vernehmung durchgeführt. Ich kann in der Akte keinen Hinweis auf weitere beteiligte Kollegen finden … Ist das möglich?»
Nielsen nickte mit zurückgelegtem Kopf. Manuela konnte seinen Adamsapfel auf und ab hüpfen sehen.
«Eric war schon immer ein Einzelgänger und Querulant, und Bender hat ihm viel zu viele Freiheiten eingeräumt. Was meinst du, warum ausgerechnet du ihm zugeteilt wurdest?»
«Keine Ahnung.»
«Bender hat es vorhin erwähnt. Er wollte Eric – wie hat er es genannt? – resozialisieren, weil er meinte, er sei seit der Scheidung von seiner Frau zunehmend vereinsamt. Und da hielt er es für eine gute Idee, ihm eine junge, nette Kommissarin im Praktikum an die Seite zu stellen.»
Nielsen lehnte sich vor und lächelte.
«Aber das ist wohl gründlich in die Hose gegangen.»
«Nicht meine Schuld», sagte Manuela und musste ebenfalls lächeln.
«Sagt ja auch keiner. Sonst säßest du jetzt nicht mehr hier. Also, weiter.»
«Beide Frauen arbeiteten als Prostituierte. Sie hatten ihre Gewerbe angemeldet und zahlten ordnungsgemäß Steuern. Ich finde in der Aussage der einzigen Zeugin, Lavinia Wolff, keinen Hinweis darauf, ob sie sich zu dem möglichen Täter geäußert hat. Stiffler geht in seiner Stellungnahme davon aus, dass das spätere Opfer einen Kunden in die Wohnung eingeladen hat und es zum Streit ums Geld kam. Aber das passt nicht.»
«Warum passt das nicht?»
«Laut gerichtsmedizinischem Untersuchungsbericht hatte sie vor ihrem Tod keinen Geschlechtsverkehr. Kein Sperma in der Vagina.»
«Die benutzen heutzutage Kondome», warf Nielsen ein.
«Und auch keine Rückstände, die auf ein Kondom schließen lassen», vollendete Manuela ihren Satz ungerührt. «Keine Verletzungen der inneren und äußeren Geschlechtsorgane.»
«Fühl dich bitte nicht angegriffen, aber sie kann dem Täter auch einen runtergeholt oder geblasen haben. Vielleicht gab es aber auch schon vor dem eigentlichen Vollzug einen Streit.»
Manuela nickte.
«Ich habe versucht, mir die Situation vorzustellen. Die beiden können sich nicht übers Geld einigen, also schlägt der Täter das Opfer nieder. Der Bericht sagt, dass sie einen heftigen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand auf den Kopf bekommen hat. Dann zieht der Täter das Opfer nackt aus, legt es in die Badewanne und ertränkt es. Wir gehen ja davon aus, dass es ein Mann war. Wenn dieser Mann auf Sex aus war, hätte er die Situation doch genutzt und die wehrlose Frau vergewaltigt, oder nicht?»
«Du hast ein merkwürdiges Männerbild», bemerkte Nielsen.
«Ich lasse mich gern vom Gegenteil überzeugen», konterte Manuela. «Ich verstehe nicht, was diese Sache mit der Badewanne soll. Es passt nicht zu einem Kunden. Für mich sieht das eher so aus, als wollte der Täter uns damit irgendwas sagen.»
«Und was?»
Manuela zuckte mit den Schultern.
«Was weiß ich? Aber aus jetziger Sicht betrachtet, gibt es doch eine eindeutige Verbindung zu diesem Fall: ertrinken. Dieser Täter ertränkt seine
Weitere Kostenlose Bücher