Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
Vom Netzwerk:
zu.
    «Jetzt pass mal auf, Eric. Ich habe die Nase voll. Wenn du jetzt nicht aufhörst zu lügen, dann kann ich dir nicht mehr helfen.»
    Die beiden Männer standen sich gegenüber.
    Schließlich senkte Stiffler den Blick.
    «Ich lüge nicht», sagte Stiffler schließlich.
    «Das hoffe ich. Nicht für dich, sondern für Frau Wolff. Wenn wir sie nicht bald finden, könnte es nämlich zu spät sein.»
    Stifflers Blick glitt wieder zur Wanduhr hinauf.
    «Ich fürchte, es ist bereits zu spät», flüsterte er.

30
    Das alte trockene Holz verstärkte seine Schritte zu einem gewaltigen, angsteinflößenden Dröhnen, und mit jedem einzelnen Schritt zuckte Lavinia zusammen.
    Er kam sie holen.
    Ihre Zeit war abgelaufen.
    Wie viel davon seit dem Telefonat mit dem Polizisten vergangen war, wusste sie nicht. Eine, vielleicht zwei Stunden, auf jeden Fall zu viel, um sich noch Hoffnung auf Rettung machen zu dürfen. Mit wem auch immer sie telefoniert hatte – er würde nicht kommen. Sie war auf sich allein gestellt, so wie schon die letzten Jahre, eigentlich ihr ganzes Leben, und wenn sie nicht allein mit diesem Verrückten fertigwurde, dann würde sie hier und heute sterben.
    Sie hatte jeden Quadratzentimeter ihres Gefängnisses nach einer morschen Stelle oder einem weiteren Ausgang abgesucht. Vergebens. Sie saß mit dem Rücken an die Wand gelehnt da, die Arme um die Knie geschlungen, und wartete. Die Luft war immer stickiger geworden und ließ sich kaum noch atmen. Schweiß lief in Strömen ihren Körper hinab, und die Kleidung klebte an ihrer Haut.
    Sie hatte den Kopf in den Nacken gelegt und starrte in die Dunkelheit hinauf. Trotz der Hitze zitterte sie. Sie biss sich auf die Unterlippe, spannte alle Muskeln an und war nahe daran, zu Gott zu sprechen. Lavinia war konfirmiert worden. Aber sie hatte sich immer schwergetan, an Gott zu glauben, daran hatte auch der Konfirmationsunterricht nichts geändert, eher im Gegenteil. Viele ihrer Fragen hatte der Pastor mit der stereotypen Antwort abgebügelt, dass man daran glauben müsse – oder eben nicht.
    Sie hatte sich für «oder eben nicht» entschieden.
    Bis zu diesem Augenblick.
    «Bitte, Gott, hilf mir», flüsterte sie.
    Eine Sekunde später wurde die Luke angehoben, und helles Sonnenlicht fiel in ihr Gefängnis.
    Eine Holzleiter wurde herabgelassen.
    «Komm rauf.»
    Lavinia bewegte sich nicht, zog die Beine noch dichter an den Körper. Welche Möglichkeiten blieben ihr? In diesem Verlies konnte sie sich nicht vor ihm verstecken, und wenn er wollte, dass sie rauskam, würde ihm das auch gelingen. Vielleicht hatte sie oben eine Chance zur Flucht, hier unten jedenfalls gab es keine.
    «Komm rauf!», wiederholte er mit mehr Nachdruck.
    Lavinia entschied sich, seinem Befehl nachzukommen. Sie stand auf, trat in das helle Viereck und packte die beiden Seitenstreben der Leiter. Vorsichtig stieg sie die Stufen hinauf. Ihre Beine zitterten, und sie hatte unfassbare Angst. In ihrer Kehle wurde es eng, sie spürte Tränen aufsteigen. Aber sie würde ihm nicht den Gefallen tun zu weinen. Fünf Stufen führten nach oben, mit jeder einzelnen wurde sie langsamer. Als ihr Kopf dann aus der Luke ragte, blendete sie das Sonnenlicht so stark, dass sie automatisch verharrte und die Augen schloss.
    Sofort packte er sie bei den Haaren und riss sie daran hinauf.
    Der Schmerz war enorm und trieb ihr abermals Tränen in die Augen. Lavinia griff mit beiden Händen nach oben, packte sein Handgelenk und hielt sich daran fest, an dem Zug an ihrer Kopfhaut änderte das aber nichts. Die letzten beiden Stufen flog sie förmlich hinauf.
    Er warf sie zu Boden.
    Lavinia schaffte es gerade noch, sich mit den Händen abzustützen und das Schlimmste zu verhindern, aber der Sturz stauchte ihre Knochen bis in die Schultern hinein.
    Ehe sie reagieren konnte, war er auch schon über ihr, hockte sich auf ihren Rücken und presste seine Knie schmerzhaft in ihre Wirbelsäule. Lavinia schrie auf, als er ihre Arme nach hinten zerrte. Dann spürte sie, wie er sie an den Handgelenken fesselte.
    Vorbei!, schoss es ihr durch den Kopf.
    Dann verschwanden seine Knie aus ihrem Rücken. Endlich von seinem Gewicht befreit, blieb Lavinia liegen und atmete schwer. Ihre linke Wange schmiegte sich an warmes Holz, das nach Sonne und Seewasser roch. Durch einen schmalen Spalt zwischen den Brettern konnte sie unter sich das Wasser sehen. Dunkel und beängstigend.
    Dann packte er sie und drehte sie auf den Rücken. Lavinia schrie auf, vor

Weitere Kostenlose Bücher