Wassermanns Zorn (German Edition)
die sie beprobt hatten.
Manuela bog in den einspurigen, geteerten Weg. Er war übersät von Schlaglöchern, herausgebrochene Steine und Asphaltbrocken lagen auf der Fahrbahn verteilt. Rechts und links trennten tiefe Entwässerungsgräben die Straße von einer urigen Hochmoorlandschaft. Gelbbraunes Gras bildete einen dichten Teppich, aus dem hie und da niedrige Birken wuchsen. Früher mochte hier Torf gestochen worden sein, aber diese Zeiten waren längst vorbei, und für Ackerbau war der Boden wohl nicht geeignet.
Manuela spürte die Reifen hart in die Schlaglöcher federn und stieg auf die Bremse. Nielsen vor ihr raste unbeeindruckt weiter. Nach einer Bodenwelle setzte der Auspuff auf, und ein Funkenregen schoss unter dem Wagen hervor. Manuela konnte den Mercedes bald kaum noch erkennen, bis er schließlich hinter einer Kurve ganz verschwand.
Sie gab etwas mehr Gas, aber nicht viel. Die tiefen Gräben neben der Straße waren einfach zu bedrohlich. Wie grauenhaft, in dem braunen, brackigen Wasser ertrinken zu müssen!
Nach vielleicht drei Kilometern erreichte Manuela eine Kreuzung mit einem weiteren Holzschild. Nielsen hatte sie gerade passiert. Sie konnte den Wagen zwar nicht sehen, dafür aber die Staubwolke, die über der jetzt unbefestigten Straße lag.
Manuela stoppte an dem Schild. Der Arm, dem Nielsen gefolgt war, wies zum Gorreg. Der andere Arm wies nach links und war in der Mitte abgebrochen. Nur die Buchstaben burg waren übrig geblieben.
Manuela steuerte direkt in die Staubwolke, die Nielsen aufgewirbelt hatte. Sie konnte kaum noch den Weg vor sich sehen. Weit vorgelehnt und ans Lenkrad geklammert, versuchte sie, nicht aus den Fahrspuren zu geraten. Hartes, braunes Gras scheuerte am Unterboden entlang. Es klang unheimlich. Manuela fühlte sich wie in einer fremden Welt, und diese Welt machte ihr Angst. Allein wäre sie spätestens jetzt umgekehrt, das wusste sie. Nur weil irgendwo dort vorn ein Kollege auf sie wartete, dem sie vertraute, fuhr Manuela weiter.
Plötzlich tauchten Himmel und Landschaft von einer Sekunde zur anderen wieder auf. Hundert Meter voraus stand der schwarze Mercedes auf einer freien, geschotterten Fläche. Stiffler stand an einer hölzernen Abgrenzung, die den provisorischen Parkplatz einfriedete und eine Weiterfahrt verhinderte. Er starrte zu einem Waldgebiet hinüber. Nielsen lief mit dem Handy am Ohr nervös auf und ab.
Er winkte ihr zu.
Manuela lenkte den Wagen neben den Mercedes, stellte den Motor ab und stieg aus.
«Haben Sie die Koordinaten?», fragte Nielsen ins Handy. «Nein, wir benötigen unbedingt den Hubschrauber, das Gelände ist unwegsam. Und sehen Sie zu, dass Sie den Hundeführer auftreiben.»
Nielsen steckte das Handy weg.
«Ich habe ein SEK und einen Hubschrauber angefordert», sagte er und blieb vor ihr stehen. «Die Gegend hier ist ein absoluter Albtraum. Wenn der Täter sich hier auskennt, und davon müssen wir ausgehen, entkommt er uns wieder.»
«Wo sind wir hier?», fragte Manuela.
«Naturschutzgebiet», sagte Nielsen und sah sich um. «Hier grenzt ein ehemaliges Hochmoorgebiet an die westlichen Ausläufer der Heide. Ziemlich einsam.»
«Und was ist Gorreg?»
«Ein See. Eric hat es mir erklärt. Der Gorregist einer der tiefsten Seen in Norddeutschland und soll über sechzig Meter tief sein. Deshalb ist sein Wasser auch verhältnismäßig kalt. Früher war das im Sommer ein sehr beliebter Badesee, aber dann nahm die Verschmutzung des Uferbereichs immer mehr zu. Die Umweltbehörde hat kurzerhand alles dichtgemacht. Wahrscheinlich kommen im Sommer immer noch ein paar Leute her, aber illegal.»
«Und hierher soll der Täter Frau Wolff gebracht haben?», fragte Manuela. «Ist das sicher?»
«Angeblich hat der Täter am Telefon ausdrücklich diesen See erwähnt. Eric meint, es gibt hier noch alte Hütten. Vielleicht hat er hier seinen Unterschlupf.»
«Und dann lockt er die Polizei hierher?», fragte Manuela zweifelnd.
Nielsen schüttelte den Kopf.
«Nicht die Polizei. Nur Eric.»
«Kommt die Unterstützung?», unterbrach Stiffler sie, der sich unbemerkt angeschlichen hatte.
Manuela fuhr herum und sah ihn an. Er hatte hektische rote Flecken im Gesicht, außerdem waren seine Pupillen stark erweitert. Er sah richtig beschissen aus. Es war sicher keine gute Idee gewesen, ihn mitzunehmen. Aber Nielsen hatte ja darauf bestanden.
«Sind unterwegs», sagte er jetzt. «Eine halbe Stunde werden sie aber brauchen.»
«Das ist zu lange», sagte
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