Wassermanns Zorn (German Edition)
Manuela.
«Sehe ich auch so», stimmte er ihr zu. «Ich würde sagen, wir gehen schon mal vor.»
Er zog seine Waffe aus dem Achselholster und überprüfte sie.
«Hast du deine dabei?», fragte er.
Manuela nickte und öffnete kurz ihre Jacke, um sie Nielsen zu zeigen.
«Wo hast du meine Waffe gelassen?», fragte Stiffler.
«Im Büro, im Safe, wo sonst?», erwiderte Nielsen barsch.
«Soll ich etwa ohne gehen?»
«Musst du wohl.»
Nielsen beugte sich in den Toyota, holte ein paar Handschellen hervor, die er an seinem Gürtel befestigte, und trat mit einem zweiten Paar auf Stiffler zu.
Er blickte ihm fest in die Augen.
«Nimm die», sagte er und drückte ihm die Handschellen in die Hand. «Und bau bloß keine Scheiße.»
Seine Stimme klang dunkel und bedrohlich.
Eric Stiffler senkte den Blick, strich mit dem Daumen über das silberne Metall in seiner Hand, sah dann zu seinem Kollegen auf und schließlich Manuela direkt ins Gesicht.
«Ich hab schon viel zu viel Scheiße gebaut», sagte er. «Aber vielleicht kann ich ja jetzt etwas gutmachen.»
35
«Du hast sie angefasst, nicht wahr, gib es doch endlich zu! Du hast deine kleine Schwester angefasst, du Sau!»
Der nächste Stoß war wuchtig und traf ihn vor die Brust. Er taumelte abermals zwei Schritte zurück.
«Und weil sie dich verraten hätte, hast du sie danach ertränkt. Habe ich nicht recht?»
«Neiiiiin!» Er schrie seine Angst und Wut hinaus. «Das ist nicht wahr. Niemals hätte ich so etwas getan!»
Stifflers Gesicht war gerötet, die Sehnen an seinem dünnen Hals traten weit hervor, er ballte seine Hände zu Fäusten, und Lögur Turunnen erwartete einen Schlag ins Gesicht.
Stattdessen stieß Stiffler ihn weiter vor sich her. Diesmal geriet Lögur ins Straucheln, stolperte über eine aus dem Waldweg ragende Kiefernwurzel und fiel hart auf den Hintern. Etwas Spitzes bohrte sich in seine rechte Handfläche, doch er nahm den Schmerz kaum wahr. Zu sehr war er auf den hoch über ihm aufragenden Polizisten fixiert. Dessen bedrohliche Aura jagte ihm eine Heidenangst ein. Aber er spürte auch, dass Stiffler nur deshalb so außer sich war, weil er ihm nichts beweisen konnte.
Im Haus auf dem See waren seine Eltern mit Packen beschäftigt. In zwei Tagen würden sie nach Finnland zurückkehren, um Siiri dort, im Land ihrer Geburt, zu beerdigen. Sie würden nie mehr nach Deutschland zurückkehren, das stand fest. Und Stiffler wusste das. Er wusste, dass er dann keinen Zugriff mehr auf ihn haben würde. Von einem sechzehnjährigen Jungen eine solche Schmach zugefügt zu bekommen, das war es, was ihn so wütend machte.
Stiffler war auf dem Weg zu Lögurs Eltern. Er hatte seinen Wagen vorn am Parkplatz stehen lassen und war die letzten vierhundert Meter durch den Wald zu Fuß gegangen, weil die Zuwegung zum Haus zu schmal war für ein Fahrzeug. Im dunklen Tunnel des Waldweges hatte Lögur ihn zu spät gesehen und war ihm in die Arme gelaufen.
Er hatte umkehren wollen, doch Stiffler hatte sich ihm in den Weg gestellt.
«Na, wo willst du hin? Zu Mama und Papa? Glaubst du, die können dich vor mir beschützen? Niemand kann das, das solltest du wissen. Ich bin hier, um dich mitzunehmen, Junge. Ich bring dich in den Knast für das, was du getan hast.»
«Gar nichts habe ich getan», hatte Lögur geantwortet. Er wusste, er hätte es dabei belassen sollen, doch dann hatte ihn der Teufel geritten. «Und selbst wenn … Sie können mir gar nichts beweisen. Und das wissen Sie auch.»
Diese paar Worte hatten gereicht, um Stiffler explodieren zu lassen. Er hatte ihn vor sich hergeschubst, und jetzt, da Lögur am Boden lag, schien der Bulle wie ein wildgewordenes Tier auf sein Opfer losgehen zu wollen. Sein Gesicht war das eines Verrückten. Schweiß perlte von seiner Stirn. Er ließ sich mit beiden Knien auf Lögurs Brustkorb nieder, drückte ihn mit seinem Gewicht zu Boden und nahm ihm die Luft zum Atmen. Mit der rechten Hand packte er sein Kinn, die Finger gruben sich tief in seine Wangen.
«Vielleicht kann ich das nicht, Junge, aber eines kannst du mir glauben. Du hast dir den Falschen ausgesucht für dein Spielchen. Vielleicht kann ich dir nichts nachweisen, aber ich kann aller Welt erzählen, was du getan hast. Dass du Hand angelegt hast an deine kleine Schwester. An ihr herumgespielt hast. Und weißt du, was …?»
Stiffler beugte sich noch ein wenig weiter zu ihm hinunter, brachte sein Gesicht ganz nah an das Lögurs, sodass der Junge dessen nach Alkohol stinkenden
Weitere Kostenlose Bücher