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Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Atem riechen konnte.
«Ich fange gleich bei deinen Eltern damit an», flüsterte Stiffler. «Sie sollen wissen, wer ihren süßen kleinen Delfin getötet hat.»
Lögur wollte schreien, doch der Polizist presste seine Kiefer zusammen, außerdem hockte er noch immer mit seinem ganzen Körpergewicht auf seinem Brustkorb. Tränen schossen ihm in die Augen, und er hasste sich dafür, vor diesem Mann zu weinen.
Stiffler grinste ihn an und weidete sich einen Moment an seiner Hilflosigkeit. Dann verschwand das Gewicht plötzlich von seinem Brustkorb, und Lögur konnte wieder atmen.
«Was geht hier vor?», rief jemand.
Hustend und würgend hob Lögur den Kopf und sah seinen Vater über den vom Ufer her ansteigenden Waldweg auf sie zukommen.
«Er ist gestürzt, ich wollte ihm gerade hochhelfen», antwortete Stiffler und streckte Lögur seine Hand entgegen.
«Nicht wahr, Junge?», sagte er leise zu ihm und warf ihm aus schmalen Augen einen warnenden Blick zu.
Lögur ergriff die Hand nicht, rollte sich stattdessen von Stiffler weg und kam mühsam auf die Knie.
«Er hat mich geschubst, Papa», sagte er mit weinerlicher Stimme.
Sein Vater erreichte sie und baute sich vor Stiffler auf. Er war groß und trainiert, überragte den dünnen Polizisten um Haupteslänge und ließ ihn neben sich wie einen alten gebrechlichen Mann wirken.
«Stimmt das?», fragte er mit drohender Stimme.
Stiffler schob die Hände in die Taschen seiner Jacke.
«Sie sollten nicht alles glauben, was Ihnen Ihr sauberer Sohn erzählt.»
«Was soll das heißen?», fragte Tarvo Turunnen, und sein Blick flog zwischen Lögur, der noch immer am Boden hockte, und dem Polizisten hin und her. «Was wollen Sie eigentlich schon wieder hier? Es ist doch alles gesagt.»
«Ist es das?», sagte Stiffler spöttisch. «Vielleicht will Ihr Sohn dem ja noch etwas hinzufügen.»
Jetzt sah sein Vater ihn an. In den vergangenen vier Tagen seit Siiris Tod war das nicht oft vorgekommen, aber wenn er es getan hatte, dann stets mit einem enttäuschten Ausdruck in den Augen. Ja, sein Vater war enttäuscht von ihm, weil er nicht so auf seine kleine Schwester aufgepasst hatte, wie er es ihm aufgetragen hatte, und jetzt war Siiri tot. Aber Lögur hatte sich vorgenommen, es wiedergutzumachen. Wenn sie erst in Finnland wären, würde er für seine Eltern da sein. Er würde für seinen Vater jeden Wettkampf gewinnen, er würde die Lücke füllen, die Siiri hinterlassen hatte.
«Lögur, was soll das heißen?», fragte sein Vater streng.
Lögur schüttelte den Kopf. Sein langes, verschwitztes Haar flog von einer Seite auf die andere.
«Nichts, Papa. Hör nicht auf ihn. Er weiß gar nichts», rief er mit einer Stimme, die selbst für seine Ohren viel zu schrill klang.
Tarvo Turunnen sah Stiffler an. «Was wollen Sie? Noch mehr Leid über unsere Familie bringen?»
Stiffler schüttelte den Kopf. «Ich will die Wahrheit hören. Von ihm.» Sein dürrer Arm schoss vor und wies auf den am Boden hockenden Jungen.
Für einen Moment wurde es vollkommen still. Die Vögel in den Ästen und der leichte Wind in den Wipfeln verstummten. Die Welt konzentrierte sich auf Lögur Turunnen, und der spürte das Gewicht dieses Augenblicks auf sich wie zuvor das des Bullen. Etwas zerbrach in ihm, und das Geräusch füllte seinen Kopf aus.
«Die Wahrheit, Junge», schrie Stiffler ihn an, und Lögur war ihm fast dankbar dafür.
«Ich habe Siiri geliebt», schrie er. Er heulte Rotz und Wasser.
«Ja, aber auf eine kranke Art und Weise!»
«Was wollen Sie damit sagen?», fuhr Tarvo Turunnen scharf dazwischen.
«Sie haben es selbst gesagt», entgegnete Stiffler, «Ihre Tochter schwamm wie ein Delfin. Sie wäre nie und nimmer ertrunken. Wollen Sie mir etwa erzählen, Sie hätten noch nicht darüber nachgedacht, was sich wirklich zugetragen hat an dem Nachmittag, als Ihre Kinder allein waren hier am See? Warum zum Beispiel war Ihre Tochter nackt?»
Lögurs Vater schnappte nach Luft. Seine Hände öffneten und schlossen sich krampfartig.
«Haben Sie Beweise für diese ungeheuerlichen Anschuldigungen?», schrie er.
Stiffler schüttelte den Kopf. «Keine Beweise. Aber meinen Instinkt, und der trügt selten.»
«Hauen Sie ab», sagte Tarvo Turunnen mit leiser Stimme.
Stiffler wartete noch einen Moment, nickte dann und ging davon.
Sein Vater sah dem Polizisten eine Weile nach. Lögur hockte am Boden und wagte es nicht, sich zu bewegen.
Schließlich wandte sich sein Vater ihm zu und sah ihm in die Augen.

    Es waren die Augen seines

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