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Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Vaters, die er in ihrem von goldenem Haar umrahmten Gesicht sah. Unnatürlich weit aufgerissen waren sie und quollen schier aus den Höhlen, aber der Ausdruck darin war der gleiche wie damals.
    Was hast du getan, Junge?
    Vater hatte es nicht ausgesprochen, aber das war auch nicht nötig gewesen. Nach dem Zwischenfall mit Stiffler auf dem Waldweg zu ihrem Haus war alles anders gewesen. Nicht Siiris Tod hatte ihre Familie zerbrechen lassen. Stiffler war es gewesen. Er hatte etwas Zerstörerisches hinterlassen, eine unheilvolle Saat, die in der nach Erklärung suchenden Trauer seiner Eltern aufging. Ein halbes Jahr nach ihrer Rückkehr nach Finnland und nach Siiris Beerdigung hatte seine Mutter sich umgebracht. Lögur hatte eine Ausbildung zum Schwimmmeister begonnen und war am frühen Nachmittag in ein stilles Haus gekommen. Seine Rufe waren versickert wie in einer Gruft. Seine Mutter hatte er in der Badewanne gefunden. Sie schwamm in Wasser und Blut, hatte sich selbst die Adern geöffnet. Lange hatte er einfach nur in der Tür gestanden und sie angestarrt, und da erst war ihm klar geworden, was Stiffler ihnen auf dem Waldweg wirklich angetan hatte. Die Familie Turunnen war ausgelöscht worden, und daran trug allein Eric Stiffler die Schuld.
    Er blinzelte. Das hier war nicht sein Vater. Es war die Nutte, mit der Stiffler vor drei Jahren zu tun gehabt hatte. Sie war eine der vielen Frauen in dessen Leben, und genau deshalb musste sie sterben. Nicht er selbst, sondern sein gesamtes Umfeld musste sterben. Genau das hatte Stiffler auch ihm angetan.
    Er hatte seine letzte Botschaft in ihren Bauch gebrannt. Es war nicht so schön geworden wie bei der anderen, dafür war sie zu unruhig gewesen, aber er hatte nicht warten können, da er nicht wusste, wann Stiffler kommen würde. Es spielte auch keine Rolle, ob sie lesbar war, denn eigentlich war sie für ihn selbst.
    Ihre Lippen waren zwei fest aufeinandergepresste Striche, die Wangen bis zum Zerbersten aufgeblasen. Sie war kurz davor, den Mund aufzureißen. Diesen Moment hatte er nie begriffen. Sie alle öffneten den Mund und nahmen das Wasser in sich auf, alle sechzehn Frauen hatten das getan, mit denen er getanzt hatte. Die eine hatte länger durchgehalten als die andere, manche hatten sich stärker gewehrt, andere gar nicht, aber wenn der Atemreflex über den Überlebensinstinkt siegte, war es immer gleich.
    Keine hatte den Mund langsam geöffnet, nein, alle hatten ihn mit einem Ruck weit aufgerissen, gierig das Wasser eingesogen und beinahe sofort ekstatisch zu zucken begonnen.
    Sie war so weit, er konnte es sehen. Er ließ sich mit ihr sinken.
    Er schoss vor, schlang seine Arme um ihren nackten Oberkörper und seine Beine um ihre Beine. Eigentlich hatte er warten wollen, bis Stiffler hier auftauchte, damit er dabei zusehen konnte, aber durch ihre eigene Schuld waren sie bereits im Wasser, und er konnte sich nicht zügeln. Sie hatte die glatte makellose Haut eines Delfins, genau wie seine kleine Schwester.
    Er wollte tanzen.
    Jetzt.

36
    Sie folgten einem alten Trampelpfad, der durch dichtes Unterholz führte. Das heraufziehende Gewitter verdunkelte den Wald und schuf tiefe Schatten, in denen sich alles verbergen konnte. Die Baumwipfel wisperten und raunten, hier und da krachte und knackte es, und Manuelas Blick flog von einer Seite zur anderen.
    Bevor sie losgezogen waren, hatten sie noch schnell auf die Umgebungskarte geschaut. Der Gorreg hatte eine eigentümliche, wilde Form und war in der Mitte beinahe zweigeteilt. Der östlich gelegene Teil war ein langer, tief in den Wald hineinreichender Schlauch, der westliche Teil hatte die typische runde Form. Zu diesem Teil waren sie unterwegs, denn dort befand sich laut Stiffler der Badestrand, bis die Umweltbehörde alles dichtgemacht hatte.
    Mit der Waffe in der Hand ging Nielsen voran, Manuela folgte ihm. Der unbewaffnete Stiffler bildete die Nachhut. Manuela war froh, nicht allein zu sein. Dieser Wald jagte ihr eine Heidenangst ein. Alles hier war fremd und eigenartig. Die Schatten schienen lebendig zu werden und ihre Fänge nach ihr auszustrecken. Aus der Ferne grollte es, und das fahle Licht der ersten Blitze zuckte zwischen den Stämmen der Kiefern und Fichten hindurch. Manuela hielt ihre Dienstwaffe fest umklammert. Eigentlich war es Wahnsinn, sich in diesem riesigen, unübersichtlichen Areal nur zu dritt auf die Suche nach Lavinia Wolff zu machen. Ein-, zweimal glaubte Manuela, eine Frau schreien zu hören, doch da

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