Wassermanns Zorn (German Edition)
richtete sich auf und holte tief Luft. Er rechnete mit einem Stich in der Rippengegend, doch der blieb aus, folglich hatte er wohl Glück gehabt und sich keine Rippe gebrochen. Der Rest seines Körpers fühlte sich an, als sei er durch einen Fleischwolf gedreht worden, aber ernsthaft verletzt war er wohl nicht.
Frank hob die Hand und betastete seine rechte Wange. Sie tat weh und war geschwollen.
«Nein, es geht schon», sagte er.
«Was ist denn überhaupt passiert?», fragte der andere Polizist.
«Ich wollte nur …»
«Der wollte hier einbrechen, was denn sonst?», rief die Frau dazwischen und zeigte mit dem Finger auf ihn.
Frank sah sie an und fand, dass Füße und Stimme hervorragend zueinander passten. Sie hatte dünnes, gelocktes Haar, durch das ihre Kopfhaut schimmerte, und ungefähr vierzig Kilo zu viel Gewicht auf den Rippen. Die feisten Wangen leuchteten hochrot, die Augen waren weit aufgerissen. Sie sah aus, als würde sie gleich einen Schlaganfall erleiden.
Und wennschon, dachte Frank. Er spürte den starken Drang, ihr eine schallende Ohrfeige zu verpassen.
«Das ist doch Unfug», sagte er.
«Wie bitte?», kreischte sie los.
«Jetzt beruhigen Sie sich erst einmal», fuhr der Polizist dazwischen, der ihm aufgeholfen hatte. «Hier wird nicht geschrien.»
Der andere Polizist wandte sich an die dicken Männer, die ein wenig unglücklich aus der Wäsche schauten.
«Was ist vorgefallen?»
Der eine, er hatte eine Glatze, trug aber einen sauberrasierten Spitzbart, zeigte hinter sich.
«Wir sitzen da hinten im Garten und grillen, verstehen Sie? Meine Frau war mal kurz zur Toilette, und da hat sie durch das Flurfenster jemanden ums Haus schleichen sehen, verstehen Sie? Wir sind natürlich gleich nachsehen, und da lag dieser Kerl hier vor der Tür auf dem Bauch und versuchte, durch den Briefschlitz … Ich weiß nicht – einzubrechen oder so, verstehen Sie?»
Der Polizist, ein Mann von Franks Größe und Statur, aber mit Schnauzbart und stechendem Blick, fixierte ihn.
«Stimmt das?»
«Nein.»
«Das ist doch die Höhe!», keifte die Frau sofort los, doch der Schnauzbart würgte sie mit einer schnellen Handbewegung ab.
«Sie sind jetzt ruhig, haben Sie mich verstanden?»
Die Dicke verfiel in Schnappatmung und schwieg.
«Also!», forderte der Polizist Frank auf.
«Okay, ich hatte vor der Tür gelegen und durch den Briefschlitz geschaut, aber doch nicht, um einzubrechen. Mir gehört das Taxi da vorn an der Straße. Ich wollte zu Frau Wolff, aber sie machte nicht auf.»
«Und da gehört es neuerdings zum Taxiservice, dass man auf dem Boden herumkriecht und durch den Briefschlitz schaut? Ich lach mich kaputt!», krakeelte die Frau.
Die beiden Polizisten verständigten sich mit einem schnellen Blick.
Der, der Frank vom Boden hochgeholfen hatte, fasste ihn am Ellenbogen.
«Kommen Sie bitte mit.»
Er führte ihn den Gehweg hinunter zur Straße, der andere nahm die Aussage des Grillkommandos auf.
Frank musste seine Brieftasche aus dem Taxi holen und sich bei geöffneter Tür in den Fond des Streifenwagens setzen. Der Beamte überprüfte am Laptop seine Personalien. Schließlich trat er zur hinteren Tür und reichte Frank seine Brieftasche zurück.
«Sie haben da eine Wunde im Gesicht», sagte er.
«Ich weiß. Ist halb so wild.»
«Was wollten Sie an der Tür?»
Frank seufzte.
«Ich war mit Frau Wolff verabredet, aber das muss die Meute da hinten ja nicht wissen.»
Als der Beamte seine Personalien überprüfte, hatte Frank sich überlegt, was er erzählen sollte. Natürlich sah es blöd aus, wenn man in einer solchen Situation erwischt wurde, aber seine Gründe waren einleuchtend, zumindest für ihn. Frank wollte immerhin versuchen, ihm die Wahrheit zu erzählen. Er schilderte, wie er Lavinia kennengelernt, dass sie sich verfolgt gefühlt hatte. Seinen Albtraum verschwieg er.
«Sie waren also verabredet, aber Frau Wolff ist nicht zu Hause», fasste der Polizist zusammen.
Das war kurz und bündig, ließ aber den ganzen Zusammenhang aus, der alles erklärte.
«Hören Sie», setzte er deshalb nach. «Irgendwas stimmt hier nicht. Frau Wolff hätte mir Bescheid gesagt, wenn sie vorgehabt hätte, unser Treffen abzusagen.»
«Und Sie kennen Frau Wolff seit … Was sagten Sie? Seit gestern?»
Frank wollte schon etwas erwidern, schwieg dann aber.
Der Mann hatte recht. Er kannte Lavinia erst seit gestern. Nein, eigentlich kannte er sie gar nicht und konnte nicht wissen, was sie tun oder lassen
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