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Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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das Gesicht, zog scharf die Luft ein und presste ihre Hände auf die schmerzende Stelle, aber sie weinte nicht.
«Außerdem stimmt das nicht. Ich war einfach schneller als du, zum allerersten Mal. Vielleicht werde ich ja doch irgendwann Weltmeisterin, wie Papa sagt.»
Der Druck in seinem Schoß ließ nach, aber der in seinem Kopf nahm zu, und das lag nicht an der Sonne.
Ja, sie hatte gewonnen. Es war knapp gewesen. Er hatte nichts dagegen tun können. Mehr war einfach nicht drin gewesen. Die Muskeln in seinen Schultern und Armen hatten gebrannt wie Feuer, und er hätte sich im Ziel fast übergeben, so sehr hatte er sich verausgabt. Aber seine kleine Schwester war an ihm vorbeigezogen, und er hatte nicht den Eindruck gehabt, dass sie schon alles gegeben hatte.
Jetzt hatte er nur noch eine letzte Bastion: das Tauchen.
Darin war er immer noch der Beste, besser sogar noch als sein Vater. Aber mit Tauchen gewann man keine Goldmedaille bei den Olympischen Spielen. Tauchen war Kinderkram in den Augen seiner Eltern. Sie liebten nur Geschwindigkeit. Dabei gab es doch auch Weltmeisterschaften im Apnoe-Tauchen. Die besten Taucher konnten fast acht Minuten unter Wasser bleiben und tauchten bis zu 150 Meter tief. Aber das interessierte in dieser Familie niemanden. Es war ja nicht Olympia.
«Kommst du und feuerst mich an, wenn ich meinen Wettkampf habe?», fragte sie, ohne ihn anzusehen.
«Mal sehen», sagte er leichthin. Er wusste, dass ihm gar nichts anderes übrig blieb.
In drei Wochen, gegen Ende der Sommerferien, richtete der örtliche Schwimmverein die Kreismeisterschaften aus, und seine kleine Schwester würde dort antreten. Sie würde alle in Grund und Boden schwimmen, so viel stand jetzt schon fest. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit Stolz, und gleichzeitig nagte etwas schmerzhaft in seinem Inneren. Er sah sich in der Schwimmhalle unbeachtet hinter seinen Eltern stehen, die Siiri frenetisch applaudierten. Seiner kleinen Schwester, die schneller schwamm als er. Er hasste sich dafür, dass er es ihr übelnahm, gleichzeitig wusste er, dass es genau so kommen würde.
«Wenn du nicht dabei bist, gewinne ich nicht», sagte sie und sah ihn an.
«Du gewinnst sowieso.»
Sie schüttelte den Kopf. Wassertropfen aus ihrem Haar landeten auf seiner Schulter.
«Ohne dich nicht.»
«Warum sagst du das?»
«Weil ich nur deinetwegen so schnell schwimme.»
Sie stand auf. Wo sie gesessen hatte, blieb ein nasser Fleck auf dem silbrig glänzenden Holz zurück.
«Ich geh noch mal rein, bevor das Gewitter da ist.»
Ehe er etwas erwidern konnte, hatte sie sich schon gestreckt und abgestoßen. Mit einem eleganten Kopfsprung tauchte sie ein und verschwand beinahe geräuschlos im Wasser.
Es war, als nehme sie das Wasser voller Freude auf, weil sie zu ihm gehörte. Sie war wie ein Delfin, sie verkörperte die natürliche Verbundenheit zum Wasser. Er selbst konnte sich ein Leben ohne Wasser ebenfalls nicht vorstellen, und dennoch musste er anerkennen, dass es einen Unterschied gab zwischen ihnen beiden.
Siiri hatte Spaß bei dem, was sie im Wasser tat.
Er hatte Angst vor dem, was das Wasser mit ihm tat.

31
    Pete Haycock spielte im Soundtrack zu «Thelma & Louise» sein Gitarrensolo und trieb die Akkorde im gleichen Tempo auf den Höhepunkt zu, in dem Susan Sarandon und Geena Davis auf den Abgrund zurasten.
    Frank fuhr viel zu schnell, er hatte das Gefühl, selbst auf einen Abgrund zuzurasen. Die Musik ließ seine Emotionen hochkochen. Eine Kataplexie bei voller Fahrt würde ihn das Leben kosten, aber irgendwie war ihm das gerade egal. Er drehte die Musik noch etwas lauter und gab noch ein wenig mehr Gas.
    Er hatte sich bis auf die Knochen blamiert, doch das war nicht einmal das Schlimmste. Die Enttäuschung war schmerzhaft, aber auch das war auszuhalten. Was ihn wirklich fertigmachte, war seine Naivität. Was hatte er sich denn vorgestellt? Dass sie ihn in Unterwäsche an der Tür empfangen und sofort über ihn herfallen würde?
    Um ehrlich zu sein: so etwas in der Richtung. In Filmen passierte das dauernd. Die Hauptdarsteller verguckten sich ineinander und landeten wenig später zusammen im Bett. Warum sollte das im realen Leben nicht auch passieren?
    Weil du ein Freak bist, dachte Frank. Weil keine Frau dich in ihre Wohnung lässt, wenn sie erst weiß, was mit dir los ist. Wie konntest du nur so dumm sein und ihr alles erzählen? Hast du denn aus der Vergangenheit nichts gelernt?
    Doch, hatte er. Er hatte gelernt, sich von Beziehungen fernzuhalten,

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