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Wassermanns Zorn (German Edition)

Wassermanns Zorn (German Edition)

Titel: Wassermanns Zorn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Vergeltung kannten. Sein Magen zog sich zusammen, ihm wurde ein wenig schlecht, und zwischen seinen Beinen sammelte sich das Blut.
Der Atem seiner Schwester ging so schnell wie bei diesem Mädchen, das er vor ein paar Tagen drüben am Strand aus dem Schilfdickicht heraus beobachtet hatte. Sie war nackt gewesen, ihr Freund hatte auf ihr gelegen und sich rhythmisch bewegt, und sie hatte dabei immer schneller geatmet. Das Atemgeräusch wurde in seinen Ohren immer lauter und lauter. Er blähte die Nasenflügel und roch das Seewasser auf ihrer Haut, vermischt mit dem intensiven Duft der Sonnencreme …
Mit einem Ruck richtete er sich auf, beugte sich weit nach vorn und umschloss mit seinen langen Armen die Knie, damit seine kleine Schwester nicht sehen konnte, was sie nicht sehen durfte.
Auf der Oberfläche des Sees brach sich das Licht der Sonne in tausend kleine Spiegel, und in jedem einzelnen konnte er sich sehen. Er sah einen Jungen, sechzehn Jahre alt, dünn, aber mit vom ständigen Schwimmen kräftigen Muskeln. Braune Haut, blondes, langes Haar. Er sah die rot leuchtenden Pickel an seinem vorspringenden Kinn, die von einem Zuviel an Hormonen zeugten.
Er sah sich neben seiner kleinen Schwester sitzen, die wie immer kein Bikinioberteil trug. Das tat sie nie, wenn sie beide allein waren. Sie war unbekümmert und frei und scherte sich nicht darum, wie es in ihm aussah.
Seine Erektion war jetzt schmerzhaft, und er beugte sich noch ein Stück weiter vor. Er wusste, es durfte nicht sein, es war falsch, falsch, falsch, sie war doch seine kleine Schwester, und doch konnte er sich nicht dagegen wehren.
Er biss sich auf die Zunge, bis es richtig wehtat. Der Schmerz lenkte ihn vom Schmerz in seinen Lenden ab.
Er sah sich um. Sie waren allein an diesem Nachmittag in den Sommerferien, so wie an den allermeisten Nachmittagen der letzten drei Wochen. Es war Hochsaison, und ihre Eltern hatten alle Hände voll zu tun, drüben am Badestrand. Seine Mutter verkaufte Eis und Getränke an die Kinder, sein Vater kümmerte sich um den Bootsverleih. Zu Beginn der Ferien waren sie oft mit hinübergegangen, aber er fühlte sich nicht wohl unter all den Menschen, und seiner Schwester schien es ähnlich zu gehen. Hier, in ihrem Teil des Sees, konnten sie viel besser schwimmen. Ihre Eltern sorgten sich nicht, weil sie wussten, dass ihre Kinder mehr Fische waren als Menschen.
Er lockerte seine Kiefermuskeln und entließ seine Zunge aus dem schmerzhaften Biss seiner Zähne. Der Schmerz hielt noch an. Seine Eltern würden frühestens in zwei Stunden heimkehren.
Zwei Stunden Einsamkeit.
Mit ihr.
Er riskierte einen Blick auf seine Schwester, nur aus den Augenwinkeln, damit sie es nicht bemerkte.
Ihr Bauch hob und senkte sich. Wasser hatte sich im Nabel gesammelt. Die Rippenbögen standen hervor. Eine Handbreit unter den Schlüsselbeinen hatte sich in der letzten Zeit eine weiche Schicht unter der Haut gebildet. Zarter goldener Flaum bedeckte ihre Unterarme und Wangenknochen.
Plötzlich öffnete sie die Augen.
«Starrst du mich an?», fragte sie.
«Hä?»
Sie konnte es gar nicht gesehen haben, denn sie schaute direkt in die Sonne.
«Ob du mich angestarrt hast?»
«Wofür hältst du dich? Ich hab zum Haus hinübergesehen. Ich dachte, Mama wäre zurück.»
Sein Herz wummerte wie verrückt.
Siiri richtete sich auf, dabei strich ihr Arm an seinem entlang.
«Ist es denn schon so spät?», fragte sie.
Er zuckte mit den Schultern und hielt seinen Blick auf den Horizont über dem See gerichtet. Die Beine zog er noch enger an den Oberkörper.
Seine Schwester setzte sich ebenfalls aufrecht hin, ließ aber die Unterschenkel über den Rand des Stegs baumeln und schob die Hände unter die Oberschenkel. Dabei drückte sie die Ellenbogen unnatürlich weit durch. Sie war so unglaublich beweglich. Spagat war eine leichte Übung für sie.
Sie blinzelte in die Sonne.
«Da kommt ein Gewitter, oder?»
«Sieht so aus.»
Seine Stimme klang anders als sonst, viel tiefer und männlicher.
Sie warf ihm einen Blick zu.
«Hast du was?»
«Was soll ich haben?»
Sie ließ ihre Beine baumeln, wackelte mit den Füßen und schaute ins Wasser hinab.
«Du bist doch nicht böse, weil ich schneller war?»
«Krieg dich wieder ein. Ich hab dich absichtlich gewinnen lassen, damit du nicht dauernd rumheulst.»
Sie stieß ihn mit der Schulter an.
«Ich heule nie.»
Damit hatte sie recht. Er hatte sie tatsächlich noch nie heulen sehen, nicht einmal, wenn sie sich wehtat. Dann verzog sie nur

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