Wassermanns Zorn (German Edition)
Hochbetrieb herrschte.
«Keine Zeit», rief Frank und lief an den beiden Männern vorbei auf das Terminal zu.
Die automatischen Türen öffneten sich viel zu langsam und warfen ihm dabei sein Spiegelbild entgegen. Es war das Bild eines gehetzten Mannes.
Die Türen glitten auseinander, das Bild verschwand. Mit dem, was er dann erblickte, hatte Frank nicht gerechnet.
32
Er blickte in das Gesicht eines alten Mannes, der alles verloren hatte. Würde, Ehre, Stolz, Menschen, die ihn einst geliebt oder auch nur respektiert hatten, einfach alles. In den Augen dieses Mannes spiegelte sich die Erkenntnis, dass es auf dieser Welt keinen einsameren Menschen geben konnte als ihn. Wie die dünne Aluminiumschicht, die aus Glas erst einen Spiegel macht, lag über allem der Wunsch, dem ein Ende zu bereiten.
Eric beugte sich vornüber, hielt die Hände unter den Wasserstrahl und schaufelte sich kaltes Wasser ins Gesicht. Dann spülte er sich den Mund aus. Obwohl er sich draußen am See gar nicht übergeben hatte, lag in seinem Mund der bittere Geschmack von Galle, und Eric befürchtete, dass er mit dem Thema noch nicht durch war.
Er stellte das Wasser ab, riss ein paar Papiertücher aus dem Spender und wischte sich das Gesicht ab. Die letzte Rasur lag lange zurück, und an den Bartstoppeln blieben kleine weiße Fetzen hängen.
Der Spiegel zeigte die nackte Realität.
Müde, blutunterlaufene Augen, Brauen, die in alle Richtungen wucherten. Eingefallene Wangen mit grauen Schatten, schlaffes Gewebe am Hals, glanzlose Augen. Ja, er war alt geworden, aber in den letzten vierundzwanzig Stunden waren Jahre hinzugekommen, die er noch gar nicht gelebt hatte.
Eric zupfte die Papierfussel aus seinem Gesicht und warf sie ins Waschbecken.
Oben in seinem Büro warteten vier Leute auf ihn. Vor Nielsen, Habermann und Petrie hatte er keine Angst, vor der Sperling schon. Eric konnte sich nicht vorstellen, wie Nielsen es geschafft hatte, aber die Sperling hatte sich bereit erklärt, an diesem Gespräch teilzunehmen. Dabei war Eric davon überzeugt gewesen, sie würde gleich morgen zu Bender laufen und sich beschweren. Aber vielleicht tat sie das ja trotzdem noch.
Natürlich waren sie alle geschockt gewesen, als er ihnen draußen am See gesagt hatte, um wen es sich bei der Leiche handelte, und vielleicht lag es nur daran, dass die Sperling noch einmal umgeschwenkt war. Und was bei ihr zog, würde morgen, wenn er vor Bender Rede und Antwort stehen musste, auch ziehen. Verflucht! Er hatte doch wirklich allen Grund für seine Schockstarre. Jeder würde das verstehen. Allerdings würde Bender ihm wohl die Leitung der Mordkommission entziehen, ihn wahrscheinlich sogar vorläufig beurlauben. Das wäre das Schlimmste, was ihm passieren konnte.
Eric verließ die Toilettenräume und schlich den Flur hinunter. Es war still im Präsidium, und ihn überfiel das plötzliche Verlangen, sich irgendwo zu verstecken. Vielleicht unter irgendeinem Schreibtisch. Einfach drunterkriechen, sich ganz kleinmachen, die Augen schließen, schlafen und die ganze Scheiße vergessen.
Die Tür zu seinem Büro stand offen. Er konnte leise Stimmen hören, aber kein Wort verstehen. Er atmete ein letztes Mal tief durch und betrat den kleinen Raum, der vielleicht die längste Zeit sein Reich gewesen war.
Nielsen und Sperling saßen auf den beiden Stühlen vor dem Schreibtisch. Habermann und Petrie standen an die Wand gelehnt. Niemand war so dreist gewesen, sich auf den Drehstuhl hinter dem Schreibtisch zu setzen.
Ohne ein Wort zu sagen, ließ Eric sich hineinfallen, studierte für einen Augenblick seine Fingernägel, unter denen noch Papierfussel klebten, räusperte sich, sah auf, und sein Blick landete direkt in den Augen der Sperling.
«Fangen wir an», sagte er und hielt ihrem Blick stand.
Die Wut war aus ihren Augen verschwunden. Konnte es wirklich sein, dass diese neunmalkluge Schnepfe Mitleid mit ihm empfand? Das war ja beinahe noch unerträglicher als ihre Renitenz. Immerhin konnte er sich das zunutze machen.
«Es tut mir leid», fing sie auch schon an. «Und ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen.»
Er nickte.
«Und wir auch», übernahm Petrie. «Das ist unglaublich grausam, und wir werden alles daransetzen, diesen Kerl zu schnappen. Da hast du unser Wort drauf. Und egal, was kommt, wir stehen dir zur Seite.»
Eric nickte abermals.
Dann versank er einen Moment in sich und suchte nach Worten. Sie erwarteten natürlich eine Ansprache von ihm.
«Kathi hat
Weitere Kostenlose Bücher