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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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weiterzuleiten.«
    »Tut dein Bein sehr weh?«
    »Das weißt du? Dein Geist ist … viel stärker, als ich vermutet habe.«
    »Ich sehe die Kapsel, Vater. Ich sehe das Loch und die Instrumente. Aber ich sehe dich nicht, ich fühle dich nur und ich höre dich.«
    »Das muß so bleiben, Sybillia. Du mußt ganz stark an mich denken. Denke: SATELLIT 96 IN NOT, SOFORT HILFE SCHICKEN. Denke diese Worte zu mir, und ich werde versuchen, sie zu richten. Ich weiß nicht, ob es gelingen wird … Ich höre nur deine Stimme, aber das muß reichen.«
    »Kommst du dann wieder nach Hause, Vater?«
    »Natürlich, Sybillia, aber du mußt jetzt tun, was ich sage. Denk diese Worte: SATELLIT 96 IN NOT, SOFORT HILFE SCHICKEN. Sprich diese Worte laut, wenn es sein muß, und richte sie an mich! Du mußt eine Stimme zwischen den Sternen werden, Sybillia, du mußt diese Stimme aus deinem Körper und zu mir schicken. Versuch es!«
    Sybillia gehorchte. Sie dachte die Worte, wiederholte sie immer wieder. Der Druck in ihrem Kopf wurde stärker. Sie spürte Stiche im Hinterkopf und hatte Schwierigkeiten mit den Worten. Dann nahm der Druck ab. Die Wände wichen wieder zurück. Die Sterne verblaßten. Jetzt sah sie wieder die Wände des Zimmers und ihre Mutter zwischen den Holos. Sybillia kniff die Augen zusammen. Sie mußte ihren Vater retten. Sie wollte ihren Vater auf die Weise retten, wie er es ihr aufgetragen hatte. Eine Stimme zwischen den Sternen, aus ihrem Körper heraus. Ihre Hände schmerzten. Als sie sie öffnete, sah sie, daß sie da, wo die Fingernägel in die Haut eingedrungen waren, bluteten. Ihre Beine fühlten sich schwer an.
    Sybillias Lippen bewegten sich, doch die Worte blieben in ihrem Geist. Es geht nicht, dachte sie, ich kann es nicht. Vater will, daß ich ihn rette, er stirbt dort draußen, ganz weit weg, und ich kann es nicht. Ihr Körper ließ sie im Stich. Vater hatte gesagt, daß sie nur mit ihrem Geist denken müßte, aber wie sollte sie das mit einem Körper wie diesem tun? Ihre Gedanken waren scharf und klar, doch ihr Mund brachte nur unartikulierte Laute hervor.
    Sybillia stand auf und schaute verzweifelt um sich. Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf herum wie die Geisterholos um ihre Mutter. Hier konnte sie weder Hilfe bekommen noch Hilfe leisten. Sie mußte zu Vater, damit er ihre Botschaft zu den Menschen weiterleiten konnte, die ihm dort draußen helfen würden. Aber wie konnte sie ihn erreichen, wie konnte sie eine Stimme zwischen den Sternen werden, ein Körper aus Gedankenworten? Ihr Körper hemmte ihren Geist, verhinderte, daß sie sich auf die Worte ihres Vaters konzentrieren konnte. Ihr Körper war ein Gefängnis, er fesselte ihren Geist, er stand zwischen ihr selbst und ihrem Vater.
    Die Sterne … eine Stimme zwischen den Sternen … Vielleicht, wenn sie die Sterne sehen könnte …
    Sybillia lief durch das Zimmer in die Küche. Sie strich über den Schließmechanismus. Die Läden vor der Tür und den Fenstern öffneten sich, wie ein Schmetterling seinen Kokon abstreift, um fortzufliegen. Der Klang der Holostimmen und die Stimme ihrer Mutter, die ihnen antwortete, drangen wie ein undeutliches Murmeln zu ihr, doch sie beachtete es nicht. Der Himmel war eine brodelnde Finsternis, die Elfenaugen waren erloschen, die Träume gestorben, so wie ihr Vater in ihrem letzten Todestraum gestorben war. Und sie hatte versagt. Sie hatte ihr Bestes getan, doch ohne Erfolg. Vater hatte sie auserwählt, ihn zu retten, und sie hatte es nicht geschafft …
     
    Zwei Tage später traf der Bericht über die noch immer eingeschalteten Holos ein und störte die Scheingestalten, die durch das leere Haus spukten, zu den schweigenden Wänden redeten und vergeblich auf die Antworten warteten. LUDWIG STERNENSTAUB, UNFALL AUF SATELLIT BEI THORAN. AUSSER GEFAHR UND GENESEND. AUF DEM RÜCKWEG ZUR ERDE. WILL KONTAKT MIT INTERSTELLARER KONTROLLE AUFNEHMEN.
    Als keine unmittelbare Antwort auf eine Botschaft mit Dringlichkeitsstufe 1a erfolgte, informierte der Sendeunit automatisch die Lokalpol, die die Botschaft dem behandelnden Psychiater der Klinik übermittelte. Marleen Sternenstaub wurde nicht informiert, denn sie befand sich noch immer im Schockzustand und in der zweiten Phase einer regressiven Psychotherapie. In ihrem Zustand glaubte sie, Sybillia sei bei einer Freundin und bleibe dort, bis ihre Mutter wieder gesund wäre. Erst in ein paar Wochen oder Monaten würde man die Fakten, die sie in den Schockzustand versetzt hatten, nach

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