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Wassermans Roboter

Wassermans Roboter

Titel: Wassermans Roboter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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die alte Methode, die einzig wahre, das einzige Heilmittel, zu dem Milliarden von Männern und Frauen Zuflucht genommen hatten, sogar die geringsten unter den Lebewesen, seit Anbeginn der Zeit. Der Dunkle Herr des Schmerzes. Mein Feind, mein Geliebter. Und wieder, immer wieder, da ich nichts anderes wollte als ein Ende des Leidens, eilte ich in seine schwarze Umarmung.
    Der Tod umfing mich, und der Schmerz hörte auf.
    In einer weiten, hallenden Ebene an einem Ort jenseits des Lebens wartete ich auf die anderen.
     
    Dunkle Schatten nehmen im Dunst Form an. Vier, fünf. Ja. Sind einige von ihnen verlorengegangen? Es würde mich nicht überraschen. In drei von vier Spielen findet ein Mitspieler seine Wahrheit im Tod und sucht nicht weiter. Und diesmal? Nein. Ich sehe, wie sich die sechste Gestalt aus den Nebelschwaden löst. Wir sind alle hier. Ich blicke noch einmal in die Runde und zähle: drei, vier, fünf, sechs, sieben und ich selbst – mit mir sind es acht.
    Acht?
    Da stimmt etwas nicht, da stimmt etwas ganz und gar nicht. Mir wird schwindelig, ich verliere die Orientierung. In der Nähe schreit jemand. Ein kleines Mädchen mit einem süßen Gesichtchen, unschuldig, in zartfarbener Kleidung und mit hübschen Edelsteinen geschmückt. Sie weiß nicht, wie sie hergekommen ist, sie begreift nichts, ihre Augen blicken verloren, in kindlicher Unschuld und bei weitem zu vertrauensvoll. Der Schmerz hat sie aus einem schmachtenden Dasein voller Traumstaub herausgerissen in ein fremdes Land voller Angst.
    Ich hebe die kleine, kräftige Hand, starre die dicken braunen Finger an, die Hornhautschwielen an meinen Daumen, die stumpfen, breiten, nachlässig geschnittenen Fingernägel. Ich mache eine Faust, eine vertraute Geste, und in meiner Hand formt sich ein Spiegel, entstanden aus dem Eisen meines Willens und dem Quecksilber meines Wünschens. In seiner blanken Tiefe sehe ich ein Gesicht. Es ist das Gesicht einer Frau, die hart und stark ist, mit tiefen Falten um die grauen Augen vom vielen Blinzeln im Licht fremder Sonnen, einem breiten Mund, der eine gewisse Großzügigkeit verrät, einer Nase, die einmal gebrochen und nicht wieder gerade zusammengewachsen war, und kurzen braunen, ständig struppigen Haaren. Ein angenehmes Gesicht. Es ist mir auch in diesem Augenblick angenehm.
    Der Spiegel löst sich in Rauch auf. Das Land, der Himmel, alles bewegt sich und ist unbestimmt. Das kleine Mädchen schreit immer noch nach seinem Papi. Einige der anderen starren mich verloren an. Da ist ein junger Mann mit glattem Gesicht, das schwarze Haar straff nach hinten gekämmt und mit farbigen Federn geschmückt, wie es auf Gulliver schon seit einem Jahrhundert nicht mehr Mode ist. Sein Körper sieht sanft aus, aber in seinen Augen entdecke ich einen harten Zug, der mich an Khar Dorian erinnert. Rieseen Jay scheint erstarrt, entsetzt, angsterfüllt, aber sie ist immer noch unverkennbar Rieseen Jay; was immer man über sie sagen mag, sie hat jedenfalls ein starkes Empfinden dafür, wer sie ist. Vielleicht reicht das sogar. Der G’vherner taucht neben ihr auf, viel größer, als er zuvor erschien, sein Körper glänzt ölig, er breitet die dämonischen Flügel aus und zerreißt die Nebelschwaden in lange graue Streifen. Im Seelenspiel trägt er keine Fesseln. Rieseen sieht ihn lange an und kauert sich in einiger Entfernung von ihm nieder. Ein anderer Mitspieler folgt ihrem Beispiel, eine behende graue Gestalt, bedeckt mit flammenden Tätowierungen, das Gesicht ein blasser Fleck ohne Zweck und ohne Bestimmung. Das kleine Mädchen schreit weiter.
    Ich wende mich von ihnen ab, überlasse sie ihren eigenen Einfällen und drehe mich zu dem letzten Mitspieler um.
    Ein großer Mann, seine Haut hat die Farbe von poliertem Ebenholz mit einem dunkelblauen Schimmer, der sich mit dem Spiel seiner langen Muskelstränge bewegt. Er ist nackt. Sein Kinn ist eckig und schwer und springt scharf vor. Langes Haar umrahmt sein Gesicht und fällt ihm über die Schultern, Haar so weiß und griffig wie frische Bettlaken, weiß wie der unberührte Schnee einer Welt, die nie ein menschlicher Fuß berührt hat. Während ich ihn betrachte, reibt sein dicker dunkler Penis gegen sein Bein, schwillt an, erigiert. Er lächelt mich an. »Weisheit«, sagt er.
    Plötzlich bin auch ich nackt.
    Ich runzle die Stirn, und daraufhin bin ich mit einer reich verzierten Rüstung bekleidet. Sie besteht aus schuppenartig angeordneten Plättchen aus vergoldetem Hartmetall, in die

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