Wassermelone: Roman (German Edition)
Auseinandersetzungen, den Sex, die Eifersucht. Sondern nehmen wir den Hut ab und legen eine Gedenkminute ein für die Legionen unbekannter Tuben mit Grundierungscreme, Lidschatten, Wimperntusche, Dosen mit Rouge und die ungezählten Lippenstifte, die all das unter Aufopferung ihres Lebens ermöglicht haben. Sie sind vergebens dahingeschieden.
Ein Blick in den Spiegel zeigte mir, dass ich gut aussah, zugegeben. Groß, schlank und fast elegant. Weit und breit keine Wassermelone zu sehen.
»Sieh dich nur an«, sagte Helen und schüttelte mit unverhohlener Bewunderung den Kopf. »Dabei ist es noch gar nicht lange her, dass du eine richtig fette alte Kuh warst.« Wenn das kein Lob war!
»Steck dir die Haare hoch«, schlug sie vor.
»Das geht nicht, dafür sind sie zu kurz«, wandte ich ein.
»Sind sie nicht«, sagte sie, kam herüber und kämmte sie mir auf den Kopf.
Sie hatte recht, verdammt noch mal. Sie mussten während der letzten zwei Monate, in denen ich mich gänzlich vernachlässigt hatte, ein wenig gewachsen sein.
»Oh«, sagte ich entzückt. »Ich hatte seit meinem sechzehnten Lebensjahr keine langen Haare mehr.«
Helen machte sich mit Spangen und Klammern zu schaffen, während ich wie ein Idiot mein Spiegelbild angrinste. »James werden die Augen aus dem Kopf fallen«, sagte ich. »Es wird ihm schrecklich leidtun, dass er eine hübsche Puppe wie mich nicht haben kann. Bestimmt fleht er mich auf den Knien an, ihn wieder in Gnaden aufzunehmen, sobald ich zur Tür reinkomme.«
In mein wunderbares Traumbild eines zerknirschten und lechzenden James hinein sagte Helen: »Was hast du eigentlich mit deinen Ohren angestellt?«
»Was soll mit denen sein?«
»Die sind irgendwie lila.«
»Ach, das ist nur die Tönung. Wir tun die Haare besser wieder runter, um sie zu verdecken«, sagte ich betrübt. Ich hatte mich sehr schnell an diesen eleganten Anblick gewöhnt.
»Nein, nein, da fällt uns schon was ein«, sagte Helen mit glänzenden Augen. »Bleib da.« Damit verschwand sie.
In Gesellschaft Annas, die bei meinem Anblick anerkennend pfiff, kehrte sie mit einigen Tüchern und einer Flasche Terpentin zurück.
»Mach du das eine Ohr«, wies Helen sie an, »ich mach das andere.«
Als ich zu meiner Verabredung mit James aufbrach, waren meine Ohren nicht mehr glänzend kastanienbraun, sondern rot, wund und bluteten fast.
Aber meine Haare blieben oben.
28
M ein Auftritt im Restaurant gehört zu den angenehmsten Erlebnissen, die ich je hatte. Als ich hereinkam, las James etwas. Er hob den Blick von seiner Lektüre und musste buchstäblich, buchstäblich, zweimal hinsehen.
»Claire«, sagte er ganz verwirrt. »Äh, du siehst großartig aus.«
Ich lächelte und hoffte, dass es geheimnisvoll, rätselhaft und raffiniert wirkte.
»Danke«, schnurrte ich.
Das wird dir hoffentlich eine Lehre sein, du Mistkerl, dachte ich, während ich mich auf meinen Stuhl setzte und darauf achtete, dass James Gelegenheit hatte, meine Schenkel in der dünnen, glänzenden Strumpfhose unter dem eng anliegenden kurzen schwarzen Kleid ausführlich zu mustern.
Er konnte die Augen nicht von mir lösen. Es war herrlich.
Auf dem Weg vom Auto zum Restaurant hatte ich einige sonderbare Blicke geerntet. Vermutlich war ich für einen frühen Montagabend im April eine Spur zu aufgedonnert, aber was für eine Rolle spielte das?
Der Kellner, ein junger Mann in einem schlechtsitzenden Smoking, angeblich Italiener, allerdings mit Dubliner Zungenschlag, eilte herbei und beschäftigte sich unnötig lange damit, mir die Serviette auf dem Schoß auszubreiten.
»Äh, danke«, sagte ich, als ich den Eindruck hatte, dass es jetzt reichte.
»Gern geschehen«, sagte er schleppend. Es klang so italienisch wie Schinken mit Kohl. Er zwinkerte mir über James’ Kopf hinweg zu. Ungelogen!
Dann bekam ich es plötzlich mit der Angst zu tun. Vielleicht hielt er mich für eine Nutte. Sah ich etwa wie eine Prostituierte aus? Ich wusste, dass mein Kleid zu kurz war.
Was soll’s, tat ich den Gedanken ab.
James lächelte mir zu. Es war ein schönes, warmes, bewunderndes, billigendes Lächeln. Einen Augenblick lang sah ich den Mann, den ich geheiratet hatte.
Als er sah, wie sich der junge Kellner bückte, damit er unter dem Tisch mehr von meinen Beinen sehen konnte, verschwand das Lächeln, und ich fühlte einen schmerzlichen Verlust.
»Bedecke deine Blöße, Claire«, sagte James stirnrunzelnd wie ein Patriarch aus dem vorigen Jahrhundert. »Sieh nur, wie
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