Wassermelone: Roman (German Edition)
ruhige und geordnete Dasein an der Seite von James, das vor mir lag.
Sie alle würden mir fehlen: Mum, Dad und Anna. Zum Teufel, womöglich würde mir sogar Helen fehlen. Womöglich aber auch nicht.
Ich fand die ganze Sache schwierig. Immer wieder stieg Wut gegen James in mir auf, zusammen mit dem Gefühl, dass er mich über den Tisch gezogen hatte. Nur mit Mühe konnte ich den Impuls unterdrücken, ihn anzurufen und ihm zu sagen, was für ein egoistischer Scheißkerl er war. Dass er kein Recht hatte so zu tun, als wäre alles Vorgefallene meine Schuld. Dass ich weder schlecht noch selbstsüchtig noch unreif sei. Dann aber stellte ich mir vor, wie er auf meine ohnmächtige Wut reagieren würde. Er würde mit Hilfe rationaler Erklärungen und Schuldsprüche dafür sorgen, dass ich mich noch minderwertiger fühlte als zuvor. Noch frustrierter. Als hätte ich mich selbst noch mehr enttäuscht.
Beherrschen konnte ich meine Wut nur deswegen, weil ich an irgendeinem Punkt und in irgendeiner Weise unrecht gehabt hatte, wenn auch völlig unbeabsichtigt. Immer wieder hallte mir im Kopf nach, was er an jenem Abend im italienischen Restaurant gesagt hatte: »Wenn es so wunderschön war, wie du sagst – warum hätte ich dann gehen sollen?«
Mir blieb keine Wahl. Ich musste anerkennen, dass es meine Schuld war. Sonst wäre er nicht fortgegangen, hätte den entsetzlichen Schritt nicht getan, ein Verhältnis anzufangen, hätte nicht geglaubt, dass er eine andere liebte.
James war weder ein Don Juan, noch handelte er unüberlegt. Er dachte über alles lange und gründlich nach – zu lange und zu gründlich für meinen Geschmack. Er tat nichts Dummes und Sinnloses, nur weil es ihm Spaß machte. Vermutlich hatte er keinen Ausweg gesehen, war wohl am Ende gewesen.
Die Dinge würden sich wieder einrenken. Schließlich würde bei James wieder alles normal werden. Es würde lediglich eine Weile dauern. Bestimmt war es richtig, was ich tat.
Schließlich entschied ich mich, am Dienstag kommender Woche nach London zurückzukehren. Damit blieb mir genug Zeit zum Packen. Noch wichtiger aber war, dass mir genug Zeit blieb, James gegenüber eine positive Haltung einzunehmen, meine Vorbehalte gegen ihn aufzugeben.
Nachdem ich zwei Tage lang hektisch Kleider in einen Koffer gepackt hatte, nur um sie später in einer Ecke von Helens Kleiderschrank versteckt wiederzufinden, sie erneut aus dem Schrank genommen und in den Koffer gepackt, ein paar Stunden später unter Helens Bett entdeckt, wieder eingepackt hatte und so fort, beschloss ich, James am Freitag nachmittag im Büro anzurufen, um ihm zu mitzuteilen, wann der Flug am Dienstag ankommen würde. Es war ziemlich merkwürdig. Seit seiner Abreise hatte er mich jeden Tag mindestens einmal angerufen und sich erkundigt, wann ich kommen würde. Es sah beinahe so aus, als könne er es nicht abwarten, bis er mich wiedersah. Als hätte er Angst, ich würde nicht kommen. Natürlich folgerte mein böser und zynischer Teil, dass er seit seinem Auszug bei Denise weder mit einer Frau im Bett gewesen war noch ihm jemand den Abwasch gemacht hatte, und so war es kein Wunder, dass er mit einer gewissen Dringlichkeit auf meine Rückkehr wartete.
Gleichzeitig aber kam es mir ungewöhnlich vor, von ihm erwartet oder gebraucht zu werden, nachdem er mich in Dublin so herablassend und abweisend behandelt und mir das Gefühl vermittelt hatte, er tue mir einen Gefallen, wenn er mich wieder bei sich aufnehmen würde.
Auch wenn er das recht geschickt verbarg, hatte ich den Eindruck, dass er mir gegenüber unsicher war und nicht so recht wusste, was er von mir halten sollte. Aber er hätte sich keine Sorgen zu machen brauchen.
Ich kam ja zurück. Es war nicht unbedingt meine Absicht gewesen, aber ich kam zurück.
Ich rief in seinem Büro an. Eine Männerstimme sagte: »Mr. Webster ist im Augenblick leider nicht im Büro.«
Wir alle wissen, wie es jetzt weitergeht. Das ist die Stelle im Buch, an der die körperlose Stimme fortfährt und sagt: »Mr. Webster ist mit seiner Freundin Denise zur Vorsorgeuntersuchung beim Gynäkologen«, oder »Mr. Webster hat sich den Nachmittag frei genommen, um nach Hause zu gehen und seine Freundin Denise zu bumsen«, oder etwas in der Art. Ich sage dann flüsternd: »Vielen Dank. Nein, Sie brauchen ihm nichts auszurichten«, lege mit zitternder Hand auf und storniere den Rückflug nach London.
Doch nichts dergleichen geschah. Die körperlose Stimme fragte: »Mit wem spreche
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