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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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davonstürmten, um sie aufzuspüren. Nachdem sie zunächst das Gestrüpp in Brand setzten, um die Bienen zu verscheuchen, fanden sie die Sklavin, mit unzähligen Bienenstichen übersät, neben einem flachen Bach sitzen. Offenbar hatte sie versucht, den Insekten zu entgehen, indem sie sich mit Wasser bespritzte. Es hatte nicht funktioniert.
    Diesmal zeigte die Peitsche keinerlei Wirkung: Sie konnte einfach nicht aufstehen. Karfa Taura schüttelte den Kopf. «Bindet sie auf den Esel!» befahl Suleiman. Einem der Lasttiere wurden die Tragkörbe abgenommen, und man legte ihm Neali über den Rücken, die Hände und Füße unter dem Leib zusammengebunden. Der Esel war von Anfang an widerspenstig. Er bockte und schlug aus, bis die Fesseln endlich nachgaben und Neali in die Büsche geschleudert wurde, wo sie wie eine Fetzenpuppe liegenblieb.
    Man hatte über zwei Stunden verloren. Die ganze Gruppe fürchtete die haarsträubenden Legenden dieser wilden Gegend und wollte endlich weiterziehen. Von vorne bis hinten erhob sich der Schrei:
«Kang-tegi, kangtegi!»
Die Kehle durchschneiden, die Kehle durchschneiden. Die Sonne schabte über den Himmel. Ein Mann mit einem Messer trat vor. Suleiman nickte ihm zu und setzte sich mit der Karawane in Bewegung. Nach einer halben Stunde stieß der Mann wieder zum Haupttroß, Nealis Kleid um die Hüften gewickelt.
     
    Der Rest der Reise verlief ohne Zwischenfälle. Der Sklavenzug bewegte sich in einer Serie von Gewaltmärschen vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang. Zwanzig Meilen pro Tag, über Haufen von splittrigem Fels und unheimliche, in Schatten getauchte Hügel, durch Wälder voller umgestürzter Bäume und Würglianen, durch Sümpfe, die einem die Schuhe von den Füßen saugten, durch verschlammte Flüsse, über denen Wolken von Insekten den Himmel verfinsterten und die vor Fischen und Reptilien nur so wimmelten. Mungo konnte nur mit Mühe Schritt halten, so geschwächt hatte ihn sein Kampf mit Fieber und Hungertod. Er warf seinen Speer fort, die Wasserkalebasse, das Beinmesser, das ihm Aisha geschenkt hatte. Die Riemen seiner Sandalen schnitten ihm wie Drähte in die Füße, und die Sonne knallte ihm auf den Kopf, bis er nichts mehr hörte außer dem wahnsinnigen
tsch-tsch-tsch
von Zimbeln, die im Finale irgendeiner Oper vor sich hin donnerten. Doch er schaffte es. Zuerst bis nach Dindiku, wo er Johnsons drei Frauen und elf Kindern die Hiobsbotschaft überbrachte, und dann nach Pisania, wo er auf die Stufen von Dr.   Laidleys Holzveranda zuwankte wie ein Gespenst.
    Dr.   Laidley war fett und rotgesichtig. Bei 44   ˚C Hitze und 99   % Luftfeuchtigkeit trug er ein Frackhemd. Mit seiner Tonsur und der dünnrandigen Brille wirkte er wie eine Karikatur von Benjamin Franklin. «Park?» rief er verwundert, während er krachend über die Bohlen trampelte, die feiste Hand zum Gruß ausgestreckt. «Mungo Park?»
     
    Mungo hatte weiterhin Glück. Er kam am 12.   Juni 1797 in Pisania an und hatte nur einen Gedanken: die Überfahrt nach England, ganz egal auf was für einem Schiff. Leider setzte gerade der Monsun ein, und er fürchtete, die ganze Regenzeit mit ihrer Fäulnis und Pestilenz warten zu müssen, ehe wieder ein Schiff den Gambia befuhr. Das konnte Monate dauern. Über Dr.   Laidley zog er einen Wechsel aufdie Afrika-Gesellschaft, zahlte Karfa Taura einen fürstlichen Lohn und machte sich dann auf eine lange, antiklimatische Wartezeit gefaßt. Doch schon nach drei Tagen des Harrens kam durch puren Zufall ein amerikanisches Sklavenschiff den Gambia heraufgesegelt, das seine Ladung aus Rum und Tabak gegen Männer, Frauen und Kinder eintauschen wollte. Die
Charlestown
wollte zurück nach South Carolina und würde am 17.   Juni wieder die Anker lichten. Ohne zu zögern, buchte der Entdeckungsreisende eine Passage; lieber auf Riesenumwegen nach Hause, als die ganze Regenzeit in einem feuchten Hinterzimmer in Pisania abwarten. Nach zwei Jahren auf dem Schwarzen Kontinent dürstete er nach Licht.
    Am Morgen des siebzehnten rasierte sich der Entdeckungsreisende, schlüpfte in die Kleider, die ihm Dr.   Laidley überlassen hatte, und ging an Bord der
Charlestown
. Das Deck knarrte unter seinen Füßen, als er den Koffer absetzte und festzustellen versuchte, wo seine Kabine wäre. Zu sehen war gar nichts. Nebel waberte über dem Wasser wie auf der Unterseite eines Traums, verfing sich in der Takelage, schluckte das Achterdeck. Vage Konturen glitten gespenstisch durch den Dunst,

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