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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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senkte sie den Blick auf die weiße Tischdecke. An ihrem Handgelenk funkelte ein juwelenbesetzter Armreif.
    Man aß Erbsensuppe, Lungenhaschee und Pökelfleisch, Bratkartoffeln, Rouladen und Hasenbraten. Es gab Berge geraspelten Kohl und rote Bete. Ein Dutzend Flaschen Rüdesheimer. Die Unterhaltung wurde zu Ehren der beiden Hauptgäste in stockendem, mit Konsonanten gespicktem Englisch geführt. «Ve haff   … wery great honor to place   … to place such charmed English mens and vomens here at Geesthacht», blubberte Pölkler, und die Wölbung seiner hohen Stirn glänzte unter dem Kronleuchter. Fanny senkte den Kopf und aß mit mechanischer Präzision: zwei Bissen, dann ein Lippentupfer mit der Serviette. Als das Dienstmädchen mit Zöpfen und Schürze das Schwarzwälder Kirschwasser brachte, schwebte Fanny schon. Brooks war voll wie ein Amtmann, vom Laudanum gelähmt, und konnte kaum noch sprechen, weil er mit dem Gastgeber zwei Pfeifen von dessen orientalischem Tabak geteilt hatte; er schlief in einer Pfütze Bratensoße ein.
    Nach dem Essen zog Fanny sich auf ihr Zimmer zurück. Das Mädchen in der Schürze zeigte ihr den Weg. Lange lag sie auf dem Bett und dachte an Ned, ihre Familie, die Stellung bei Sir Joseph, die sie aufgegeben hatte, die trostlose Aussicht – wie durch einen endlosen Tunnel kriechen zu müssen – eines Lebens mit Brooks. Sie griff nach Fläschchen und Löffel. Opiumtinktur. Der Stoff war magisch, tröstend, er war ihr Freund und Ratgeber. Sie nahm ihn als die Medizin, die er war.
    Fanny legte sich hin und träumte. Die Kerze wurde zumLicht der Sonne, das Zimmer drehte sich zweimal, und auf einmal war sie in einem tiefen, üppig bewachsenen Tal. Goldene Fische flitzten durch klare Teiche, Lustschlösser erhoben sich über steil zum Meer abfallenden Klippen, Lerchen segelten über den Himmel, und die Wolken schürzten die Lippen und flüsterten ihr absurde Gedichte ins Ohr. Sie träumte. Aber der Atem auf ihrem Kissen kam aus Pölklers Mund.
     
    Oberflächlich gesehen war es reines Mitgefühl, das Brooks dazu bewegte, Fanny von London fortzubringen – er wollte ihr die Qual der Hinrichtung ihres Geliebten ersparen. Am Tod des Betrügers war nichts mehr zu ändern. Sie hatten getan, was sie konnten. Jetzt sollte sie ihn vergessen. In Wahrheit aber hungerte er danach, an ihrer Seite zu stehen, wenn das Seil sich straffte und Ned Rise zum letztenmal den Mund aufriß. Er brannte darauf; keiner Szene der Welt hätte er lieber beigewohnt. Das Ganze war so herrlich morbide, so schrecklich aufregend – das verdammte Liebespaar, für immer getrennt, einander entrissen durch die verhängnisvolle, unbarmherzige Macht des Henkers, und die gramgebeugte Heldin wirft sich noch über die Leiche, während die Zuschauer lässige Kommentare über die Hinrichtung abgeben wie Theaterkritiker, die aus dem Foyer schlendern. «Ach Quatsch, der da eben war doch gar nix. Wißt ihr noch, Jack Tate damals? – Hat ’ne halbe Stunde rumgestrampelt und dabei immer so furchbare Geräusche mit sei’m Schlund gemacht.» Brooks schenkte es einen Kitzel, kein Zweifel. Er war äußerst erpicht darauf, sie zu beobachten, während sie die Exekution beobachtete. Noch erpichter war er aber darauf, sie nicht zu verlieren. Wenn Ned dann endgültig von der Bühne war, würde sie ja keinen Bedarf mehr an Brooks’ Vermögen haben – oder an Brooks’ Neigungen. Sobald sie das erst einmal begriff, wäre sie weg. Das wußte er.
    Also hielt er sie unter Laudanum und verschleppte sie nach Deutschland, bevor sie sich richtig klarwerden konnte, was mit ihr geschah. Ohne Geld in der Tasche und unfähig, die Sprache dort zu sprechen, wäre sie abhängiger von ihm als je zuvor. Und genau das wollte er. Fanny Brunch war die begehrenswerteste Frau, die er gesehen hatte – er war verrückt nach ihr. Sie besaß diese weiche, reine, engelhafte Schönheit, die jede Faser seines sadomasochistischen Herzens anrührte. Mit ihr war es nicht die bloße, vergängliche Lust der Geschlechtlichkeit, sondern ein fortwährender Prozeß der erotischen Sudelei, es war wie Kirchenbänke anpissen, wie sich auf dem Altar einen runterholen. Sie war für ihn geschaffen.
    Das logische Reiseziel mit ihr war Deutschland. Infolge des Krieges kam Frankreich nicht in Frage. Italien dito. Auch an Griechenland hatte er gedacht, aber das Mittelmeer insgesamt war ja ein wogendes Schlachtfeld – wozu es riskieren? Nein, Deutschland war schon das Beste. Das

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