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Wassermusik

Wassermusik

Titel: Wassermusik Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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Krisensituation rasch reagieren und die inneren Reserven zum Austricksen einer ihr weit überlegenen Macht aufbieten zu können, so machte die Unbill ihrer Heimkehr dies praktisch zunichte. Niemand holte sie ab, niemand kümmerte sich, ob sie tot oder am Leben war, in die Sicherheit Englands zurückkehrte oder für immer Gefangene in der Fremde blieb. Ned war fort, ihre Eltern würden vor einer entehrten Frau Türen und Fenster verrammeln, die Banks’, ihre Köchin und Bount würden eher nackt durch die Straßen laufen, als sie auch nur anzusehen. Man betrog sie sogar noch um das kurze patriotische Herzklopfen, das der Anblick der Tower Bridge oder der Türme von St.   Paul’s in ihr ausgelöst hätte – das deutscheSchiff legte in Gravesend an, und sie hatte nicht einmal genug Geld, um sich von einem Fischerkahn das Stückchen flußaufwärts bringen zu lassen. Statt dessen mußte sie einen Mann anbetteln, der eine Fuhre Hühner zum Markt brachte. Der Pferdekarren holperte, ein kalter Regen fiel herab, das Kind weinte, die Hühner stanken nach Kot und Dreck, der Mann grabschte ihr ans Bein.
    Der Weg nach London wand sich durch die verpesteten Slums des East End. Ruß hing in der Luft. An den Straßenecken bettelten Kinder, Frauen lagen betrunken in den Gassen. Zwei Schweine wühlten gierig im Abfall der Gosse, ein Verrückter verkaufte unsichtbare Bibeln, eine Frau mit Kehlkopfkrebs erbot sich, für einen Penny fünf Liter Wasser zu trinken und wieder auszukotzen. Nachdem der Fuhrmann sie in der Poultry Lane abgesetzt hatte, wanderte Fanny stundenlang ziellos durch die Straßen, immer das zerrende Kind am Arm. Sie hatte nichts als ein paar wertlose Pfennige in der Tasche, keine Bleibe, nichts zu essen, und am allerschlimmsten war, daß sie ihr Laudanum bis auf wenige Tropfen aufgebraucht hatte. Sie war sparsam damit umgegangen, hatte versucht, länger auszukommen, doch schon bohrte es in ihrem Magen. Der Regen ging wie Pech und Schwefel auf sie nieder.
    Irgendwann in dieser oder der folgenden Nacht war sie auf einmal in der Monmouth Street, stapfte verbissen durch den Regen, auf der Suche nach Medizin, Nahrung, Unterkunft, Wärme, Medizin, Medizin, Medizin. Das Kind weinte seit Stunden pausenlos, riß sie an der Hand, zerrte an ihren Röcken, quengelte unentwegt, es wolle sich hinlegen und schlafen. Auch ihre Beine waren wie Blei, und ihr Rücken schmerzte, als hätte sie die ganze Nacht hindurch Milchkannen geschleppt oder am Butterfaß gestanden. Sie rang nach Luft. In ihrer zerschundenen Kehle brannte ein verzweifelter Durst, den auch noch soviel Wasser nicht löschen konnte.
    Schließlich blieb sie vor einem Altkleider-Laden stehen, um einen Müllhaufen zu durchstöbern, weil sie hoffte, darin irgend etwas zu finden, um das Kind zur Ruhe zu bringen. Zwischen lauter verschimmelten Lumpen und Glasscherben lag dort ein Fischkopf, naßglänzend und voll blasser Schleimfäden aus Blase und Eingeweiden. Ihr drehte sich der Magen um, der Junge aber schnappte sofort danach. Er stopfte sich den Mund voll, als wäre es ein Teigfladen oder Zuckerbrötchen, und sie fing an zu schreien, voller Ekel und Hoffnungslosigkeit und mit wachsender Hysterie, die sich aus dem Gedanken speiste, nun sei ihr letzter Widerstand gebrochen und sie könne niemals wieder heil werden. Da ging plötzlich die Ladentür auf, und ein fahler Lichtschein fiel auf die Pflastersteine.
    «Aber, aber, was is denn?» krächzte eine rostige Stimme hinter ihr.
    Das schwere hölzerne Schild quietschte in den Angeln:
Rock und Hose von «Trödel-Rose»
stand darauf, und es schwankte im Wind. «Trödel-Rose». In der Tür stand eine alte Frau. Die Jahre hatten sie verhutzelt, ihr Rückgrat war für immer krumm, die krallenartigen Knöchel umklammerten den Griff ihres Stocks. Fanny erstarben die Schreie in der Kehle. Das Kind hockte in einer Pfütze und bearbeitete den Fischkopf mit flinken Fingern und Zähnen. «Aber, aber», wiederholte die Alte. «Kommt doch rein und tut euch am Feuerchen wärmen. Is nich viel, aber allemal besser als die nasse Straße hier draußen.»
    Drinnen kauerten sich Fanny und ihr Sohn vor das Feuer, ringsherum türmten sich dunkle Kleiderberge. Aus dem Hinterzimmer schlurfte die Alte mit ein paar Kohlen und einer Tasse Haferschleim für den Jungen herbei. Während der Kleine aß, ließ sie sich neben Fanny nieder und sah sie wissend an. Fanny hatte Schüttelfrost, den Veitstanz, einen
tic douloureux
. Die Tasse Brühe, die ihr

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