Watch Me - Blutige Spur (German Edition)
hatten sie sich in der Bibliothek getroffen, um Hausaufgaben zu machen. Manchmal hatte er sie angerufen, nur um zu reden. Er war beliebt und ging mit einer Menge Mädchen aus, aber sie hatte gespürt, dass er sich für sie interessierte – vielleicht mehr als für die anderen. Sie hatte stets den Eindruck gehabt, dass er nur auf ein Zeichen von ihr wartete, um ihrer Freundschaft eine neue Tiefe zu geben. Aber bis sie sich in Cain verliebte, hatte sie sorgsam darauf geachtet, genau das nicht zu tun.
Als Cain sie nach dem Abend im Wohnmobil nicht angerufen hatte, hatte sie ein bisschen mit Jason geflirtet. Wie erwartet, war das genau der richtige Auslöser für ihn gewesen. Er lud sie ein, und sie sagte Ja, und von diesem Zeitpunkt an war alles entsetzlich schiefgelaufen. Aber während all ihrer Gespräche hatte Jason nie einen Hinweis darauf geliefert, dass es bei ihm zu Hause irgendwelche Probleme gab. Nur Cains Verhalten hatte ihr das verraten.
„Jason hat immer so getan, als sei alles in bester Ordnung“, sagte sie.
„Für ihn war es das vielleicht auch. Sein Vater hat ihn angebetet und hätte ihm jeden Wunsch erfüllt.“
„War John bei Robert und Owen genauso?“
„Nicht so stark.“
„Jason war also sein Liebling.“
„Mit Abstand.“
Sheridan hatte so viele andere Fragen, die sie Cain stellen wollte, doch das Telefon unterbrach sie. Cains Sessel quietschte, als er ihn zurückschob, um sich den Hörer zu schnappen. „Hallo?“
Sheridan spielte mit ihren Karten herum, während sie ihn beobachtete. Mit den Gedanken war sie immer noch in der Vergangenheit, bei Jason und was er empfunden haben musste, bei Cain und Julia, bei John und seinem Egoismus. Und so dauerte es eine Weile, bis sie begriff, dass der Anruf gar nicht Cain galt. Es waren ihre Eltern.
„… Cain Granger … Das ist richtig … Es geht ihr besser … Aber das kann sie Ihnen auch selbst erzählen …“
Sie unterdrückte einen Seufzer und nahm das Telefon entgegen. Ihr Handy funktionierte noch nicht, da Whiterock nicht groß genug war, um hier ein passendes Ladegerät auftreiben zu können. Aber sie hatte von Cains Festnetztelefon aus bei ihren Eltern eine Nachricht hinterlassen. Sie weigerten sich, sich ein Handy anzuschaffen, weshalb Sheridan sich an die Kreuzfahrtgesellschaft hätte wenden müssen, um sie unterwegs zu erreichen. Sie hatte sich dagegen entschieden.
„Hallo?“
„Liebling, geht es dir gut?“ Die besorgte Stimme ihrer Mutter hörte sie zuerst, aber nur eine Sekunde später vernahm sie auch die des Vaters. Er war ans zweite Telefon gegangen.
„Deine Nachricht lautete, dass du überfallen worden bist. Was ist passiert?“, rief er. „Warum hast du uns nicht sofort angerufen?“
„Es gab keinen Grund, euch die Reise zu verderben.“ Nach allem, was sie durchgemacht hatte, brachten die Stimmen der beiden Menschen, die sie auf der Welt am meisten liebten, sie fast zum Weinen. Sie hatte schon oft überlegt, sich bei Jonathan, Skye und Jasmine zu melden, hatte es jedoch immer weiter aufgeschoben. Wahrscheinlich weil sie sie für verrückt erklären würden, weil sie bei Cain wohnte. Sie wollte sich jedoch weder erklären noch verteidigen müssen. Sie tat lieber so, als sei es das Klügste, was sie tun konnte. Wenn sie es ihnen nicht erzählte, war das einfach. „Mir geht es gut … na ja, auf jeden Fall besser. Wann seid ihr nach Hause gekommen?“
„Vor ein paar Stunden“, rief ihre Mutter. „Es gab einen Unfall auf dem Highway, also haben wir angehalten, um etwas zu essen, anstatt uns durch den Verkehr zu quälen. Wenn wir das gewusst hätten …“
„Wie schwer bist du verletzt?“, schnitt ihr Vater seiner Frau das Wort ab. „Sollen wir kommen?“
„Nein, das ist nicht nötig. Leannes Baby kann jeden Tag kommen, und das wollt ihr doch bestimmt nicht verpassen. Außerdem geht’s mir schon wieder besser.“
Cain war aufgestanden, um den Ton des Fernsehers abzustellen, der im Hintergrund lief. „Wieder besser?“, wiederholte er leise und legte die Fernbedienung hin, bevor er sich wieder auf seinen Sessel lümmelte.
Sie warf ihm einen flehenden Blick zu. „Es war nicht so schlimm, wie es sich anhört“, sagte sie ins Telefon.
„Aber du hast vom Krankenhaus gesprochen“, hakte ihr Vater nach. „Wenn du ins Krankenhaus musstest, war es etwas Ernstes.“
„Sie wollten nur sichergehen und mich durchchecken. Du weißt doch, wie vorsichtig Ärzte bei Kopfverletzungen sind.“ Das Letzte, was
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