Watermind
die malträtierte Flasche und beförderte sie mit einem Tritt unter dem Geländer hindurch. Sie landete auf der Abdeckung des Bassins und füllte sich langsam mit Regen.
Mit wie vielen Männern hatte sie geschlafen, seit sie aus Boston geflüchtet war? Ihre Hand glitt über ihren schmerzenden Bauch und zwischen ihre Beine. Sieben in zwölf Monaten. Ihr wurde übel, als sie an diese Zahl dachte. Sie hatte es auf gar keinen Fall getan, um Spaß zu haben. Jede einzelne widerwärtige Erinnerung erfüllte sie mit Abscheu. Mit Ausnahme von Max hatte hinter jeder Begegnung der Wunsch nach Vergessen gestanden. Vielleicht hatte Roman die Wahrheit über sie erkannt. Obwohl sie gar nicht verheiratet war, fühlte sie sich wie eine Ehebrecherin.
Eine Bewegung auf einem Monitor erregte ihre Aufmerksamkeit. Schichten aus warmem und kaltem Wasser schoben sich übereinander wie runzlige Membranen. CJ überprüfte die pH-Werte und stellte fest, dass alle Zahlen größer wurden. Sie öffnete ihre Oszilloskop-Datei, und da war wieder das starke rhythmische Muster, das in Wellen über den Bildschirm lief. Nur dass sich etwas verändert hatte. Sie brauchte eine Weile, um das neue Metrum zu erkennen. Nun bewegte sich das Kolloid im Dreivierteltakt. Es spielte einen Walzer. Max hatte keinen Walzer gespielt.
Konnte das sein? Ihr wurde geradezu schwindlig. Trotzdem schaffte sie es, eine CD einzulegen, um eine Kopie der Daten anzufertigen. Das Muster behielt die Wellenform über einen längeren Zeitraum bei. Die grafischen Sinuskurven senkten und hoben sich im unverkennbaren Dreiertakt. Dann löste sich das Phänomen wie ein Regenbogen auf, und das Oszilloskop stellte wieder das vorherige statische Rauschen dar. Aber CJ hatte ein paar Takte im Dreiviertelrhythmus aufzeichnen können.
»Was sagen Sie jetzt, Roman Sacony? Ihr Flussmüll hat soeben sein erstes Wort gesprochen.«
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Mittwoch, 76. März, 6.45 Uhr
Kanalwasser tränkte die porösen Sandbänke des Devil's Swamp und säumte die überfluteten Zaubernussbäume mit Ringen aus seifigem Schaum. Mit Ebbe und Flut sickerte der trübe Saft durch den osmotischen Schlamm hinauf und verteilte sich zwischen verschlungenen Baumwurzeln. Er schwappte im Riedgras und floss dann langsam wieder zurück wie in einem langsamen sexuellen Kontakt. Beim Koitus mit dem festen Boden nahm das Wasser Lehm und zersetzte Blätter, Rohöl und Perchlorat auf. Gierig verleibte es sich Quecksilber und Blei ein. Sein Durst war promiskuitiv – erodierend, auslaugend, auflösend, anlagernd.
CJ wachte aus einem seltsamen Traum auf und fand sich auf einer Couch in Dan Meirs Büro wieder, mit Romans Jacke zugedeckt. Sie erinnerte sich nicht, dass sie neben dem Bassin eingeschlafen war, und sie ahnte nicht, dass Roman sie auf den Armen bis zu dieser Couch getragen hatte. Was sie anging, konnte Roman in der Hölle schmoren. Sie wusste nur noch, wie die Wellen des Kolloids getanzt hatten.
Passagen aus der Schönen blauen Donau tönten in ihrem Kopf, im überschwänglichen fließenden Rhythmus des Wassers. Natürlich musste ihr wässriges Kolloid einen Walzer erfinden. Sie setzte sich auf und lachte. Yue hatte das alles als reinen Zufall bezeichnet. Ha! Es war nicht mehr und nicht weniger als ein Wunder! Ein aktives, lernfähiges neuronales Netz, das sich von selbst aus Abfällen im Fluss gebildet hatte. CJ atmete ein und aus. Wenn es so schnell lernte, mochte es tatsächlich intelligent werden.
Kein ernsthafter Wissenschaftler sollte so voreilige Schlussfolgerungen ziehen. Sie hatte keine Beweise dafür, nichts Handfestes – und dennoch wollte sie daran glauben. Eine neue Lebensform. Ein intelligentes Wesen. Sie stellte es sich wie ein Neugeborenes vor, unschuldig und voller Hoffnung, wie es gerade damit begann, seine Welt zu erkunden. Ein Wunderkind – sie wusste, wie es sich fühlen musste. Ja, es brauchte Schutz und Fürsorge. Sie sah, wie es eine kleine pummelige Hand nach ihr ausstreckte und ein urtümliches Mitgefühl in ihr erweckte, das sie nicht weiter ergründen wollte. Es hatte bereits sein erstes Wort in Babysprache gesprochen. Einen Walzer! Sie sprang von der Couch auf und suchte nach ihren Schuhen.
Ihr Körper fühlte sich klebrig an. Sie brauchte dringend eine Dusche. Ihre Kopfhaut juckte, ihre Fußsohlen waren schwarz, und ihre Mundhöhle schmeckte nach Guano. Als sie sich die Schuhe zuband, erinnerte sie sich vage daran, wie sie ihren Rover in der Nähe des Bassins geparkt hatte. Ein
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