Watersong - Wiegenlied: Band 2 (German Edition)
ihr einfach so aufgeben?«
» Natürlich nicht.« Unsanft schob Harper ein Buch ins Regal. » Ich werde niemals aufgeben.«
» Wie ist dann der Plan?«, fragte Marcy.
» Warum kümmert dich das überhaupt?«
Harpers Beine schmerzten vom langen Knien, deshalb stand sie auf und schaute über die hüfthohen Kinderregale zu ihrer Kollegin, die sie hinter dicken Brillengläsern anblinzelte.
» Du bist meine Freundin«, sagte Marcy, sichtlich überrascht über Harpers verärgerten Ton. » Gemma ist deine Schwester. Ich möchte nur helfen.«
» Und deshalb meckerst du über alles, was wir tun? Denn mehr habe ich heute noch nicht von dir gehört.«
» Was ist dein Problem?« Marcy richtete sich auf. » Ich weiß, dass ich in so was nicht so gut bin, aber wenigstens versuche ich zu helfen. Ich tue mein Bestes.«
» Ich auch, Marcy!«, rief Harper aufgebracht. Die wenigen Büchereikunden drehten sich zu ihr um, aber das war ihr egal. » Ich versuche alles Mögliche und nichts funktioniert! Ich bringe nichts zustande!«
» Es tut mir leid, dass du sie nicht finden kannst«, sagte Marcy beschwichtigend. » Wirklich. Aber das ist nicht meine Schuld.«
» Ich weiß!«, erwiderte Harper laut, dämpfte dann jedoch ihre Stimme. » Ich habe das alles so satt.« Sie atmete tief durch, um ihr Schluchzen zu unterdrücken. » Ich möchte einfach nur wissen, dass es ihr gut geht. Ich möchte, dass sie nach Hause kommt.«
Alle Angriffslust war aus ihr verschwunden. Sie kämpfte gegen ihre Tränen und wischte sich die paar aus dem Gesicht, die ihr trotzdem hinunterliefen.
» Irgendetwas sagt mir, dass ich jetzt zu dir gehen und dich umarmen sollte«, meinte Marcy von ihrem Platz hinter der Theke. » Aber ich hab’s nicht so mit Umarmungen. Ganz abgesehen von meinem Sonnenbrand!«
» Schon gut.« Harper schniefte und zwang sich zu lächeln. » Ich glaube, ich musste einfach nur mal Dampf ablassen.«
Ein paar Besucher schauten sie immer noch misstrauisch an und Harper lächelte ihnen entschuldigend zu.
» Bitte verzeihen Sie diesen Ausbruch«, sagte sie in den Raum hinein und richtete sich auf. » Kommt nicht wieder vor. Sie können ruhig weiter die Bücher durchstöbern.«
Sie kauerte nieder, um die Bilderbücher aufzuheben, die noch auf dem Boden lagen. Doch sobald sie wieder sicher zwischen den Regalen abgetaucht war, überkam es sie.
Gemma kehrte vielleicht nie wieder zurück, und selbst wenn, war sie womöglich nicht mehr die alte. Egal, was von jetzt an passierte, die Schwester, die Harper von klein auf gekannt und geliebt hatte, war verschwunden. Und Harper konnte nichts tun, um sie zurückzuholen.
Sie legte eine Hand auf ihren Mund, um ihr Schluchzen zu ersticken, während ihr die Tränen über das Gesicht strömten, und hielt sich mit der anderen am Regal fest. Ihr ganzer Körper bebte, aber es gelang ihr trotzdem, einigermaßen leise zu sein.
» Hallo?«, sagte eine Stimme.
Sie drehte den Kopf ein wenig zur Seite, um ihr Gesicht vor demjenigen zu verbergen, der da hinter ihr stand.
» Ähm, Marcy ist vorne«, sagte sie und schluckte ihre Tränen hinunter. » Wenn Sie ein Buch suchen, wenden Sie sich bitte an sie.«
» Harper, ich suche kein Buch«, sagte die Stimme. Sie sah über ihre Schulter und entdeckte Daniel.
» Daniel!« Sie wandte sich ab und trocknete sich unauffällig das Gesicht. » War ja klar, dass du ausgerechnet jetzt hier auftauchst.« Sie wollte nicht, dass er sie so verschnupft und verheult sah.
» Alles in Ordnung?«, fragte er besorgt.
» Ja, mir geht’s gut. Alles klar.« Sie schniefte, griff nach den Büchern und stand auf. Da sich ihr Aussehen sowieso nicht mehr retten ließ, drehte sie sich schließlich zu ihm um. » Was willst du?«
» Hast du geweint?«, fragte er, die Stimme warm vor Mitgefühl.
Sie senkte den Blick und weigerte sich, ihn anzusehen, spürte jedoch, wie er sie musterte. Er trat noch näher, bis er nur Zentimeter von ihr entfernt war, doch Harper presste die Bücher an ihre Brust und starrte weiter auf ihre Füße.
» Ich arbeite, Daniel, wenn du also meine Hilfe nicht brauchst, dann sollte ich jetzt weitermachen«, stieß sie hervor.
» Ich weiß, dass du arbeitest, und ich würde dich auch nicht stören, wenn es nicht wichtig wäre«, sagte Daniel. » Hast du vielleicht fünf Minuten, damit wir kurz reden können?«
Auf ihrer Wunschliste stand das Zusammensein mit Daniel im Moment auf Platz zwei, direkt hinter dem Wunsch, Gemma zu finden. Am liebsten hätte
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