Watersong - Wiegenlied: Band 2 (German Edition)
mühsam. » Wenn du dir da so sicher bist, warum küsst du mich dann nicht?«
Bevor er antworten konnte, begann das Handy in Harpers Tasche Silverchairs Song Mind Reader zu spielen– den Klingelton, den sie Gemma zugeordnet hatte. Einen Augenblick lang war Harper versucht, den Anruf zu ignorieren. Sie wollte den Moment nicht zerstören, denn Daniel hatte recht: Sie wollte nichts lieber, als ihn zu küssen.
Aber es war bereits zu spät und möglicherweise steckte Gemma in Schwierigkeiten. Sie war noch nicht lange weg, aber wenn Harper einen Notruf ihrer Schwester verpasste, weil sie zu beschäftigt damit war, mit einem Typen zu knutschen, würde sie sich das nie verzeihen.
» Das ist Gemma«, flüsterte sie. » Ich muss rangehen.«
» Ich weiß«, sagte Daniel bedauernd.
Aber er bewegte sich nicht von der Stelle und sah weiter auf sie herunter, als sie ihr Handy aus der Hosentasche holte.
» Hallo?«, meldete sich Harper, und erst dann richtete sich Daniel auf und gab sie frei. » Gemma? Ist alles okay?«
» Ja, es ist alles in Ordnung«, sagte Gemma. » Ich bin nur gerade aufgewacht und habe gesehen, dass du nicht da bist. Alex sagte, du müsstest was erledigen oder so. Wann kommst du nach Hause?«
» Äh, ich bin in ein paar Minuten wieder da.« Harper stand auf und lief vom Bett– von Daniel– weg. » Ich wollte gerade gehen. Brauchst du irgendwas?«
» Nein, es ist nur…« Gemma schwieg kurz. » Ich wollte nur wissen, ob es dir gut geht. Ich bin ein bisschen angespannt.«
» Das verstehe ich«, erwiderte Harper. » Ich bin gleich wieder zu Hause, dann können wir weiterreden. Okay?«
» Das klingt gut«, sagte Gemma, und sie klang wirklich erleichtert. » Bis gleich.«
Harper beendete das Gespräch und blieb einen Augenblick am Fuß der Treppe stehen, die an Deck führte. Sie stand mit dem Rücken zu Daniel und dachte nach. Als sie sich wieder umdrehte und ihn ansah, saß er immer noch auf dem Bett und beobachtete sie.
» Ich möchte, dass du weißt, dass ich den Kontakt zu dir nicht deswegen abbrechen will, weil ich dich nicht mag«, sagte sie sehr ernst. » Es dürfte ja ohnehin ziemlich offensichtlich sein, dass ich dich mag.«
Nun senkte er den Blick. Wahrscheinlich, weil er wusste, dass diesen Worten nichts Gutes folgen würde.
» Aber ich kann mich nicht auf dich einlassen, weil ich mich um meine Schwester kümmern muss«, fuhr Harper fort. » Und weil ich dich mag, will ich nicht, dass dir das Herz herausgerissen wird.«
» Meinst du das mit dem Herz jetzt wortwörtlich oder metaphorisch?«, fragte Daniel.
» Beides«, gestand sie seufzend. » Auf Wiedersehen, Daniel. Und danke für dein Verständnis.«
Daniel hob zum Abschied die Hand und Harper drehte sich um und eilte die Treppe hinauf. Sie musste über die Reling aufs Dock hinunterklettern und wäre beinahe wieder ins Wasser gefallen. Aber sie wäre lieber ertrunken, als ihn um Hilfe zu bitten.
Als sie sicher auf festem Boden stand, ging sie im Laufschritt zurück zu ihrem Auto und musste sich sehr anstrengen, um die Tränen zurückzuhalten.
VIERUNDZWANZIG
Wenn nicht heute…
W ährend Gemma sprach, saß Harper auf ihrem Bett und betrachtete ihre Schwester eindringlich. Gemma hatte sich auf der anderen Bettseite zusammengekauert und hielt sich an Harpers altem Teddybär fest. Hätten sie nicht über Monster und Morde geredet, wäre es beinahe so gewesen wie früher, als die beiden Mädchen oft die Nächte durchgequatscht hatten.
Als Harper vor ein paar Stunden von ihrer Erledigung zurückgekehrt war, hatte sie traurig gewirkt. Gemma hatte versucht, mit ihr darüber zu reden, aber Harper hatte abgewinkt. Nachdem sie Alex nach Hause geschickt hatte, bestand sie darauf, dass Gemma ihr ausführlich berichtete, was wirklich mit ihr los war. Nicht nur, weil sie begreifen wollte, was Gemma durchgemacht hatte, sondern auch, weil sie sich einen Hinweis darauf erhoffte, wie der Fluch der Sirenen zu brechen sein könnte.
Gemma war froh über die Gelegenheit, Harper alles zu erzählen, auch wenn ihre Schwester bereits über alles Entscheidende Bescheid wusste. Es war eine ungeheure Erleichterung, endlich mit jemandem über den Wahnsinn der letzten Wochen reden zu können. Gemma fühlte sich, als sei eine ungeheure Last von ihr gewichen. Endlich konnte sie wieder frei atmen.
Sie hatte Harper alles erzählt, was sie wusste. Von Anfang an. Wie die Sirenen sie dazu gebracht hatten, aus der Phiole zu trinken, und wie fantastisch sich die
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