WattenMord (German Edition)
würde“, setzte Petersen nach. „Was hat Holst der Spaß gekostet?“
Ein paar Mausklicks, dann: „Dreihundertfünfzig Euro.“
„Danke.“ Petersen nickte. Er hatte genug gehört und nickte Wiebke zu.
„Bitte schreiben Sie uns den Namen und die genaue Anschrift Ihrer Mitarbeiterin auf, dann lassen wir Sie in Ruhe.“
„Gern.“ Thordis Wimmer nickte dienstbeflissen und schrieb die gewünschten Daten auf einen Zettel, den sie Wiebke reichte. „Und bitte – wahren Sie die Diskretion, wenn es möglich ist.“
„Wir tun unser Bestes“, versprach Wiebke und verabschiedete sich von der Geschäftsführerin des Husumer Escort Service. Sie würde das dumpfe Gefühl nicht los, dass irgendetwas an der Geschichte nicht stimmte.
Ostenfeld, Hauptstraße, 16.05 Uhr
Der Eingang befand sich etwas abseits von der Straße in einem Anbau, der offenbar als eigenständiges Wohnhaus auf dem gleichen Grundstück diente. Das erklärte auch das „A“ hinter ihrer Adresse, dachte er und blickte sich aufmerksam um. Unter einem Carport parkte ein metallicfarbener Renault Mégane älteren Baujahres. Irgendwie konnte er sich nicht vorstellen, dass sie einen Mégane fuhr. Wahrscheinlich, so konstatierte er weiter, gehörte der Wagen ihren Nachbarn. Hinter dem Haus lag der Garten, rechts ein Schuppen, dahinter eine Koppel. Fehlte nur noch, dass hinter dem Haus Schafe weideten.
Oder Kühe.
Nach Gülle roch es jedenfalls.
Das Krähen eines Hahns in der Nachbarschaft ließ keine Zweifel offen: Er war auf dem Land angekommen. Er wandte sich um und betrachtete die Fassade. Tiefroter Backstein, wie fast alle Fassaden in diesem Landstrich. Fast wunderte er sich ein wenig darüber, dass die Friesen ihre Straßen nicht auch noch verklinkert hatten.
Das Dach, so stellte er fest, bestand nicht aus einer Deckung mit Reet. Nichts Halbes und nichts Ganzes, dachte er ein wenig spöttisch. Nachdem er seine Betrachtung abgeschlossen hatte, wandte er sich dem Hauseingang zu, einer zweiteiligen Tür mit kleinen, gewölbten Scheiben. Dahinter ein Flur, wie es ihn zu Hunderttausenden gab. Eine bemalte Milchkanne, die als Schirmständer zweckentfremdet wurde, und eine Garderobe. Draußen ein Blumenpott, darüber ein eisernes „Willkommen“-Schild, das im Wind klapperte und ihn an die Karabiner eines Segelbootes erinnerte.
Er trat einen Schritt zurück und studierte die beiden Namen auf dem Klingelschild. Wie der Blitz traf ihn der Gedanke, dass sie vielleicht längst verheiratet war. Ein Stich durchzuckte seine Brust, als er sich ausmalte, dass sie glücklich verliebt sein könnte – möglicherweise sogar schon Mutter war.
Der Gedanke befremdete ihn. Sein Mädchen mit einem kleinen Kind auf dem Arm?
Aber was verlangte er? Immerhin hatten sie sich rund zwanzig Jahre nicht gesehen. Verdammt lange her, die Zeit blieb nicht stehen, und nun plagten ihn Selbstzweifel.
Ja, er hätte sie schon oft anrufen sollen. Vielleicht einfach Interesse an ihr und an ihrem Leben zeigen. Doch nichts von dem hatte er getan. Ab und zu mal eine Karte zu Weihnachten oder zum Geburtstag, das wars auch schon gewesen. Und selbst die Schreiberei war im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten. Verbittert hatte er sich in das Berufsleben gestürzt und sein Privatleben einfach ausgeblendet, so gut es ging.
Nun überlegte er, ob sie es ähnlich getan hatte. Wahrscheinlich hatte sie ihn längst vergessen, ihn aus ihrem Leben verbannt. Und er konnte ihr dafür nicht einmal böse sein.
Er zögerte, hob den Arm, hielt noch einmal inne, dann drückte er den Klingelknopf mit dem Schild, auf dem ihr Name stand. „W. Ulbricht“ stand dort. Er holte tief Luft, fast so, als würde es ihm unendliche Überwindung kosten, dann klingelte er ein zweites Mal. Irgendwo im Haus zerriss ein Gong die Stille.
Es tat sich nichts. Er wartete eine halbe Minute, dann wagte er einen dritten Versuch, nach einer weiteren Pause einen vierten Versuch, der jedoch auch nicht von Erfolg gekrönt war.
Sie schien nicht da zu sein.
Klar, dachte er, was verlangte er auch? Dass sie sich zwanzig Jahre lang in ihrer Wohnung verschanzte, um auf seine Rückkehr zu warten?
Es schien ihm, als erwachte er aus einem Traum, als kehrte er aus einer Scheinwelt zurück, in der er die letzten Jahre einsam und frustriert verbracht hatte.
Er wandte sich wütend und enttäuscht ab und wanderte in der Einfahrt auf und ab. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt erinnerte er an einen dozierenden Professor. Immer
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