WattenMord (German Edition)
wart bei den beiden, die angeblich die Nacht zusammen verbracht haben. Er hat euch angerufen, weil er sein Auto als gestohlen melden wollte.“
Als Wiebke keine Einwände hatte, fuhr er fort: „Und trotzdem wurde mit dem Wagen ein Mord verübt. Zeitgleich, sozusagen. Es klang plausibel, den Wagen einfach als gestohlen zu melden, um aus eurer Schusslinie zu gelangen, doch jetzt sind die Karten neu gemischt.“
„Das ist, glaube ich, nicht ganz richtig. Wenn ich das so grob schätze, hätte Schäfer genug Zeit gehabt, nach Glücksburg und zurückzufahren, bevor wir bei ihm aufgetaucht sind. Aber das müsste man noch genauer bestimmen.“
„Wenn der Verkehr nicht so stark war, hätte es eventuell klappen können, aber vielleicht hat er auch nicht gelogen und der Wagen wurde tatsächlich gestohlen“, fuhr Ulbricht fort.
„Deshalb habe ich meinem Kollegen eine KTU des Golf Country empfohlen“, nickte Wiebke und ordnete sich auf der zweispurigen Straße Norderhofenden links ein.
„Gutes Mädchen“, lächelte Ulbricht und klammerte sich am Haltegriff des Dachholmes fest. Er war ein denkbar schlechter Beifahrer und bremste mit, sobald ein anderer Verkehrsteilnehmer im dichten Gewimmel der Flensburger Innenstadt vor der Haube des Passats die Spur wechselte. Wiebke schien sich auszukennen; sie ordnete sich nach links in Richtung Glücksburg auf den Hafenkai ein. „Sag mal, wo liegt eigentlich dieser Ballastkai?“, fragte er so beiläufig wie möglich, als linker Hand ein Ausläufer der Flensburger Förde im Sonnenlicht glitzerte. Boote schaukelten auf dem Wasser auf und ab, und nun fühlte er sich tatsächlich ein wenig wie im Urlaub. Um ein Haar hätte Ulbricht vergessen, dass er vor kurzer Zeit noch mit einer Frau gesprochen hatte, die vor seinen Augen ermordet worden war.
Vor einer roten Ampel stoppte Wiebke den Wagen und blickte ihren Vater entgeistert an. „Warum?“
Er grinste jungenhaft. „Nur so.“
„Vergiss es“, rief sie kopfschüttelnd. „Ich werde nicht zu Heiners’ Firma fahren, damit du dich dort umsehen kannst. Das haben Friedrichs’ Leute längst getan. Und ich habe keine Lust auf noch mehr Ärger mit ihm. Er ist ein ziemlich arrogantes Arschloch und hält sich für den Größten.“
„Aber er ist gut?“ Ulbricht betrachtete seine Tochter. Die Ampel sprang auf grün, und sie fuhr los.
„Ja, allerdings. Er hat eine ziemlich gute Aufklärungsrate. Trotzdem ist es ein Hohn, wie er mit seinem Team umspringt. Er behandelt sie wie dumme Kinder und akzeptiert keinen, der mindestens so gut ist wie er, vielleicht sogar besser. Friedrichs ist der Beste – jedenfalls glaubt er das. Und er setzt alles daran, damit das auch so bleibt.“
Ein wenig fühlte Ulbricht sich, als hätte ihm seine Tochter einen Spiegel vorgehalten. Er selbst hasste es, wichtige Aufgaben zu delegieren. Niemand seiner Mitarbeiter kooperierte wirklich gern mit ihm, dem alten Brummbär. Ulbricht war nicht nur privat, sondern auch im Job einsam alt geworden. Ein ehemaliger Kollege hatte sich ins Diebstahlkommissariat versetzen lassen, nur um nicht mehr mit ihm in einer Abteilung arbeiten zu müssen. Natürlich hatte Ulbricht die Schuld dafür niemals bei sich gesucht. An manchen Tagen kamen ihm seine Mitarbeiter wie hirnlose Kinder vor, ein Umstand, unter dem eigentlich kein Kommissariat der Polizei funktionieren konnte. Er ließ sich die Butter nicht gern vom Brot nehmen, wenn es darum ging, einen Fall zu lösen. Und nun hatte er es zum ersten Mal am eigenen Leib erfahren, wie es war, sich einem Mann wie Udo Friedrichs gegenüber für sein Verhalten rechtfertigen zu müssen.
Unwillkürlich dachte Ulbricht an den jungen Kommissar, den ihm die Polizeipräsidentin höchstpersönlich vor zwei Jahren an die Seite gestellt hatte, um ihm „ein wenig zur Hand zu gehen“, wie sie es damals wohlwollend gemeint hatte. Frank „Brille“ Heinrichs war ein elender Speichellecker, jung, unerfahren und völlig übermotiviert, doch Ulbricht musste sich eingestehen, dass sich der Knabe in der letzten Zeit gemausert hatte. Würde Heinrichs zu seinem Nachfolger werden, wenn er den Dienst quittierte? Ulbricht wusste es nicht, und es war auch nicht der richtige Augenblick, um sich darüber Gedanken zu machen.
„Du musst hungrig sein“, bemerkte er, als links ein Hinweisschild zum Ballastkai auftauchte. Gleich neben der Einfahrt zum Kanalschuppen erblickte er eine Fischhalle. Laster parkten an der Rampe des Schuppens, ein Gabelstapler
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