Waugh, Evelyn
gewöhnte Tom sich an, sie morgens abzuholen und abends wieder nach Hause zu bringen. Er blieb dann vor ihrem Haus im Wagen sitzen und hupte, und sie kam zu ihm herausgelaufen. Als der Sommer nahte, unternahmen sie auch Spazierfahrten über die baumbeschatteten Landstraßen [209] von Warwickshire. Im Juni verlobten sie sich. Es war ein Erlebnis für Tom, das ihn ganz aus dem Häuschen brachte, fast schwindlig machte, doch er hatte Hemmungen, seiner Mutter davon zu erzählen. »Ich bin schließlich nicht Gervase«, erkannte er zwar ganz richtig, aber im Grunde seines Herzens wusste er genau, dass er Ärger bekommen würde.
In den Kreisen, aus denen Gladys stammte, waren lange Verlöbnisse gang und gäbe; Heirat lag in weiter Ferne; eine Verlobung bedeutete für sie nur das öffentliche Bekenntnis dazu, dass sie ihre Freizeit miteinander verbrachten. Ihre Mutter, bei der sie wohnte, akzeptierte ihn unter dieser Voraussetzung. Irgendwann, in ein paar Jahren, wenn Tom seinen festen Platz in einem Londoner Autosalon hatte, war immer noch Zeit, ans Heiraten zu denken. Aber Tom war in eine weniger geduldige Tradition hineingeboren. Im Herbst begann er, von Heirat zu sprechen.
»Das wäre herrlich«, sagte Gladys in einem Ton, als spräche sie von einem Tombolagewinn.
Er hatte nur wenig von seiner Familie erzählt. Gladys war sich zwar vage bewusst, dass diese in einem großen Haus wohnte, aber das war ein Leben, das für sie nie Wirklichkeit gewesen war. Sie dachte sich so ungefähr, dass man da [210] Herzoginnen und Marquisen in einer sogenannten Gesellschaft antraf; man begegnete ihnen in Zeitungen und Filmen. Sie wusste, dass es Direktoren mit sehr hohen Gehältern gab; aber Menschen wie Gervase oder Mrs. Kent-Cumberland, die sich für etwas ganz anderes hielten als sie selbst, waren ihr noch nie begegnet. Als sie zu guter Letzt dann doch einmal zusammenkamen, war Mrs. Kent-Cumberland äußerst liebenswürdig, und Gladys hielt sie für eine sehr nette alte Dame. Aber Tom wusste, dass die Begegnung katastrophal verlaufen war.
»Das Ganze ist natürlich vollkommen unmöglich«, sagte Mrs. Kent-Cumberland. »Diese Miss Egal-wie-sie-heißt mag ja ein ausgesprochen nettes Mädchen sein, aber du bist doch gar nicht in der Position, an Heiraten überhaupt zu denken. Außerdem«, fügte sie im Ton absoluter Endgültigkeit hinzu, »darfst du auch nicht vergessen, dass du hier der Erbe wärst, falls Gervase etwas zustoßen sollte.«
Und so musste Tom kurzerhand die Autobranche verlassen und eine Stelle auf einer Schaffarm in Südaustralien antreten.
[211] X
Es wäre nicht gerecht zu sagen, Mrs. Kent-Cumberland habe in den darauffolgenden zwei Jahren ihren jüngeren Sohn vergessen. Sie schrieb ihm jeden Monat und schickte ihm zu Weihnachten ein paar Halstücher. Während der ersten einsamen Zeit schrieb Tom ihr regelmäßig, doch als er sich an das neue Leben gewöhnte und seine Briefe seltener wurden, vermisste sie diese nicht sehr. Kam einer, war er meist recht lang, so dass sie ihn zunächst beiseitelegte, um ihn später in Ruhe lesen zu können, und öfter als einmal verlegte sie Briefe auf diese Weise ungeöffnet. Aber wann immer Bekannte sich nach Tom erkundigten, antwortete sie getreulich: »Es geht ihm ausgezeichnet. Und es macht ihm solchen Spaß.«
Es gab so viel anderes, was sie beschäftigte und manchmal auch bedrückte. Gervase war jetzt der Herr auf Tomb und verkehrte die Sparsamkeit seiner Kinder- und Jugendtage in ihr Gegenteil. Im Stall standen sechs Jagdpferde. Der Rasen wurde gemäht, Zimmer wieder benutzt, zusätzliche Badezimmer installiert; es war sogar die Rede von einem Swimmingpool. An jedem Wochenende gab es Gesellschaften von Samstag bis Montag. Und schließlich wurden zwei Romneys [212] und ein Hopper unter Preis verkauft. Mrs. Kent-Cumberland sah das alles mit einer Mischung aus Stolz und Sorge. Besonders aufmerksam begutachtete sie die endlose Prozession von Mädchen, die zu Besuch kamen, stets hin- und hergerissen zwischen den einander widersprechenden Ängsten, dass Gervase heiraten werde oder eben nicht. Beides erschien ihr gefährlich; eine Frau für Gervase musste natürlich aus guter Familie sein, wohlerzogen, reich, von makellosem Ruf und Mrs. Kent-Cumberland in Liebe zugetan. Eine solche Partie schien schwer zu finden. Das Anwesen war frei von Hypotheken, die wegen der Erbschaftssteuer notwendig geworden waren, aber die Rendite war unsicher, und obwohl sie sich, wie sie immer wieder
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