Way Out
Augen und denselben Porzellanteint. Das Porträt war sensationell gewesen, aber die Realität war besser. Jade Lane war ein wirklich schönes Kind.
»Ich heiße Lauren«, sagte Pauling. »Und dieser Mann heißt Reacher.«
Jade nickte ernst und gewichtig. Sie sagte nichts. Kam auch nicht näher. Sie trug ein Sommerkleid, ärmellos, aus gestreiftem kreppähnlichem Baumwollstoff. Vielleicht von Bloomingdale’s in der Lexington Avenue. Vielleicht eines ihrer Lieblingskleider. Vielleicht eines der Dinge, die sie hastig eingepackt hatte. Dazu hatte sie weiße Socken und dünne Sommersandalen an. Die Sandalen wirkten staubig.
Pauling sagte: »Wir sind hier, um mit den Erwachsenen zu reden. Weißt du, wo sie sind?«
Zehn Meter entfernt nickte Jade erneut. Sagte noch immer nichts.
Pauling fragte: »Wo sind sie?«
Aus zehn Metern Entfernung in entgegengesetzter Richtung hörten sie eine andere Stimme: »Einer von ihnen ist hier, Lady«, und Kate Lane trat hinter der anderen Hausecke hervor. Auch sie hatte sich im Vergleich zu dem Fotoporträt kaum verändert. Dunkles Haar, grüne Augen, hohe Wangenknochen, ein Kussmund. Unglaublich schön. Vielleicht etwas müder wirkend, vielleicht etwas mehr unter Stress stehend. Aber eindeutig dieselbe Frau. Sie war ungefähr einen Meter fünfundsiebzig groß, schlank und gelenkig. Genau wie man sich ein ehemaliges Model vorstellt, fand Reacher. Sie trug ein viel zu großes Männerhemd aus kariertem Flanell und sah darin umwerfend aus. Andererseits hätte sie auch in einem Müllsack mit hineingerissenen Kopf- und Armlöchern großartig ausgesehen.
»Ich bin Susan Jackson«, sagte sie.
Reacher schüttelte den Kopf. »Das sind Sie nicht, aber ich freue mich trotzdem sehr, Sie kennenzulernen. Und Jade auch. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich darüber bin.«
»Ich bin Susan Jackson«, wiederholte sie. »Und dies ist Melody.«
»Dafür haben wir jetzt keine Zeit, Kate. Und Ihr Akzent ist ohnehin nicht überzeugend.«
»Wer sind Sie?«
»Mein Name ist Reacher.«
»Was wollen Sie?«
»Wo ist Taylor?«
»Wer?«
Reacher sah zu Jade hinüber, dann trat er einen Schritt auf Kate zu. »Können wir miteinander reden? Vielleicht ein kleines Stück den Weg entlang?«
»Weshalb?«
»Damit wir ungestört sind.«
»Was ist passiert?«
»Ich möchte Ihre Tochter nicht durcheinanderbringen.«
»Sie weiß, was hier vorgeht.«
»Okay«, sagte Reacher. »Wir sind gekommen, um Sie zu warnen.«
»Wovor?«
»Edward Lane ist eine Stunde hinter uns. Vielleicht weniger.«
»Edward ist hier?«, fragte Kate. Erstmals mit wirklicher Angst in der Stimme. »Edward ist in England? Schon?«
Reacher nickte. »Hierher unterwegs.«
»Wer sind Sie?«
»Er hat mich engagiert, Taylor aufzuspüren.«
»Wieso warnen Sie uns dann?«
»Weil ich inzwischen weiß, dass die Entführung nur vorgetäuscht war.«
Kate sagte nichts.
»Wo ist Taylor?«, fragte Reacher noch mal.
»Er ist unterwegs«, antwortete Kate. »Mit Tony.«
»Anthony Jackson? Seinem Schwager?«
Kate nickte. »Dies ist seine Farm.«
»Wohin sind sie gefahren?«
»Nach Norwich. Um ein Ersatzteil für den Bagger zu besorgen. Weil wir noch ein paar Gräben ziehen müssen.«
»Wann sind sie weggefahren?«
»Vor ungefähr zwei Stunden.«
Reacher nickte erneut. Norwich. Die große Stadt. Dreißig Meilen hin, dreißig Meilen zurück. Ungefähr zwei Stunden Fahrt. Er suchte die Straße im Süden ab. Dort bewegte sich nichts.
»Ich schlage vor, dass wir alle hineingehen«, sagte er.
»Ich weiß nicht mal, wer Sie sind.«
»Doch, das wissen Sie«, sagte Reacher. »Im Augenblick bin ich Ihr bester Freund.«
Kate starrte Pauling einen Augenblick lang an und schien die Anwesenheit einer anderen Frau beruhigend zu finden. Sie blinzelte einmal, dann öffnete sie die Haustür. Führte sie hinein. In dem alten Farmhaus war es kalt und dunkel. Es hatte niedrige Balkendecken und unregelmäßige Steinfußböden. Dicke Wände, geblümte Tapeten und kleine Sprossenfenster. Die Küche stellte unübersehbar den Mittelpunkt des Hauses dar. Sie war ein großer rechteckiger Raum, in dem es blanke Kupferkessel gab, die an Haken hingen, und Sofas, Sessel und einen offenen Kamin, in dem man einen Ochsen hätte braten können, sowie einen riesigen altmodischen Küchenherd. Weiterhin befanden sich darin ein Esstisch aus massiver Eiche samt zwölf Stühlen und ein Schreibtisch aus Fichtenholz mit einem Telefon und Stapeln von Papier, Umschlägen,
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