Way Out
ein tief fliegendes Flugzeug. Unten grüne Erde, darüber ein Streifen Blau, eine gelbe Kugel als Sonne. In dem wurstförmigen Flugzeugrumpf saßen drei Bullaugen mit Köpfen dahinter. Die Tragflächen waren wie von oben gesehen gezeichnet. Auf dem letzten Bild wieder die Familie, diesmal jedoch doppelt. Zwei Lanes dicht nebeneinander, zwei Kates, zwei Jades. Als ob man das zweite Bild doppelt sähe.
Reacher legte die Zeichnungen ordentlich aufeinander und schaltete das Nachtlicht aus. Vergrub sich unter der Steppdecke, die ihm von der Brust bis zu den Knien reichte. Sein Haar oder das Kopfkissen roch nach Babyshampoo. Genau ließ sich das nicht sagen. Den Wecker in seinem Kopf stellte er auf fünf Uhr. Dann schloss er die Augen und schlief nach ein paar Atemzügen ein – auf einem Fußboden, den ein Meter Lehmboden aus dem Central Park hart und dicht und solid machte.
Reacher wachte wie geplant um fünf Uhr morgens auf: in unbequemer Haltung, noch immer müde, leicht frierend. Er konnte Kaffee riechen. In der Küche traf er Carter Groom vor einer großen Kaffeemaschine von Krups stehend an.
»Noch drei Stunden«, sagte Groom. »Glauben Sie, dass sie anrufen werden?«
»Weiß ich nicht«, antwortete Reacher. »Glauben Sie’s denn?«
Groom gab keine Antwort. Trommelte nur mit den Fingern auf der Arbeitsplatte, während er darauf wartete, dass der Kaffee fertig wurde. Reacher wartete mit ihm. Dann betrat Burke die Küche. Er sah aus, als hätte er kein Auge zugetan. Er sagte nichts. Nichts Freundliches, nichts Feindseliges. Er tat einfach so, als hätte es den vergangenen Abend nie gegeben. Groom schenkte drei Becher Kaffee ein. Nahm seinen mit und verließ den Raum. Auch Burke nahm sich einen und folgte ihm. Reacher trank seinen Kaffee an der Theke sitzend. Auf der Wanduhr war es zwölf nach fünf. Er hatte das Gefühl, sie gehe etwas nach. Tatsächlich war es eher 5.15 Uhr.
Zeit für den Weckanruf bei Ex-Special Agent Lauren Pauling.
Auf dem Weg nach draußen blieb er im Wohnzimmer stehen. Lane saß noch immer in seinem Sessel. Bewegungslos. Weiter aufrecht. Weiter gefasst. Weiter stoisch. Unabhängig davon, ob diese Haltung echt oder nur gespielt war, blieb seine Ausdauer imponierend. Gregory, Perez und Kowalski schliefen auf Sofas. Addison war wach, aber ohne Energie. Groom und Burke tranken ihren Kaffee.
»Ich bin mal weg«, erwiderte Reacher.
»Wieder spazieren?«, fragte Burke säuerlich.
»Frühstück«, sagte Reacher.
Unten in der Eingangshalle hatte noch immer der alte Herr Dienst. Reacher nickte ihm zu, wandte sich auf der 72nd Street nach rechts und ging in Richtung Broadway davon. Niemand folgte ihm. Er fand ein Münztelefon und benutzte einen Quarter aus seiner Tasche und die Karte aus seinem Schuh, um Paulings Handynummer zu wählen. Er rechnete damit, dass ihr Mobiltelefon in seinem Ladegerät auf dem Nachtisch neben ihrem Kopfkissen stehen würde.
Sie meldete sich beim dritten Klingeln.
»Hallo?«, sagte sie.
Rostige Stimme, nicht verschlafen, nur heute noch nicht benutzt. Vielleicht lebte sie allein.
Reacher fragte: »Sie haben in letzter Zeit den Namen Reacher gehört?«
»Hätte ich ihn hören sollen?«, lautete ihre Gegenfrage.
»Wir sparen eine Menge Zeit, wenn Sie einfach ja sagen. Von Anne Lanes Schwester Patti, durch einen Cop namens Brewer, habe ich recht?«
»Ja«, sagte Pauling. »Gestern Abend sehr spät.«
»Ich brauche einen frühen Termin«, sagte Reacher.
»Sie sind Reacher?«
»Ja, der bin ich. In einer halben Stunde, in Ihrem Büro?«
»Sie wissen, wo es ist?«
»Brewer hat mir Ihre Karte gegeben.«
»In einer halben Stunde«, bestätigte Pauling.
Und so stand Reacher eine halbe Stunde später mit einem Kaffeebecher in einer Hand und einem Doughnut in der anderen auf dem Gehsteig der West Fourth Street und beobachtete, wie Lauren Pauling auf ihn zukam.
23
Dass tatsächlich Lauren Pauling auf ihn zukam, erkannte Reacher an der Art und Weise, wie ihr Blick sein Gesicht fixierte. Natürlich hatte Patti Joseph nicht nur seinen Namen, sondern auch seine Personenbeschreibung weitergegeben. Deshalb hielt Pauling Ausschau nach einem großen, breitschultrigen, blonden, leger gekleideten Mann in der Nähe ihres Bürogebäudes, und Reacher kam an diesem Morgen auf der West Fourth Street als Einziger in Frage.
Pauling selbst war eine elegante Frau von ungefähr fünfzig oder auch ein paar Jahre älter, die man ihr aber nicht ansah. Brewer hatte sie zu Recht als
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