Waylander der Graue
direkt unterhalb des Gartens. Sie hat sich noch nicht bewegt.«
»Kannst du alle Menschen riechen?«
»Nein. Nur Verwundete oder Tote. Ich glaube fast, sie sind tot, denn ich kann keine Bewegung und keinen Laut von ihnen hören.«
Von ihrem Platz aus sahen sie Langbein und Stein-Vier in den Garten treten. Stein-Vier bewegte sich rasch, doch Langbein tippte ihm auf die Schulter und befahl ihm, langsamer zu gehen.
»Langbein können sie nicht überrumpeln«, sagte Eisenarm. »Er ist vorsichtig.«
Dreischwert antwortete nicht. Er warf einen Blick auf Eldicar Manushan. Warum hatte der Mann solche Angst?
Er ging zu dem Magier. »Was ist es, das ich noch nicht weiß?«, fragte er.
»Ich weiß nicht, was du meinst.«
»Was geht hier vor, Eldicar? Warum wurden so viele Frauen getötet. Warum hast du solche Angst?«
Eldicar leckte sich die Lippen, dann stand er auf und ging ganz nah an Dreischwert heran. »Wenn der Mensch durchkommt«, flüsterte er, »will Deresh Karany die Beschwörung durchführen.«
»Also wird er einen Dämon benutzen, um ihn zu töten. Das hat er doch schon öfter gemacht.«
»Nicht irgendeinen Dämonen«, sagte Eldicar. »Er hat vor, Anharat selbst zu beschwören.«
Dreischwert sagte nichts. Was gab es da zu sagen? Die Arroganz dieser Menschen ging über sein Verständnis. Er sah, wie Eisenarm ihn fragend anblickte und wusste, warum.
Jetzt riecht er meine Angst, dachte Dreischwert.
Als die Luft um sie herum flimmerte, spürte Keeva einen eisigen Wind. Leuchtende Farben explodierten vor ihren Augen. Dann, als ob sich ein Vorhang öffnete, sah sie die monderhellte Wohnung des Grauen Mannes vor sich auftauchen. Der Boden unter ihren Füßen zitterte, und sie geriet ins Schwanken. Ustarte stieß einen tiefen Seufzer aus und sank zu Boden. Sofort kniete Waylander neben ihr nieder.
»Was ist los?«
»Ich bin … erschöpft. Es … erfordert … viel Energie. Ich bin bald wieder in Ordnung.« Ustarte streckte sich aus. »So … wenig Kraft … übrig«, wisperte sie. Dann schloss sie die Augen.
Waylander ging zur Tür seiner Wohnung. In diesem Augenblick erschienen zwei Wachen auf dem Pfad zur Rechten. Einer hielt einen Jagdbogen mit aufgelegtem Pfeil in der Hand. Der zweite hatte einen Speer. Beide Männer erstarrten, als sie die Gruppe sahen. Keeva hob ihre Armbrust.
»Legt die Waffen nieder«, sagte sie.
Einen Augenblick lang schien es, als würden sie ihr gehorchen, doch dann spannte der Bogenschütze plötzlich seinen Bogen. Ein Bolzen aus Waylanders Waffe schlug in seine Brust ein. Der Bogenschütze grunzte und fiel, sein Pfeil schoss durch die Luft und verfehlte Keeva nur um Haaresbreite. Instinktiv drückte sie beide Auslöser ihrer Armbrust. Ein Bolzen traf den Speerträger im Mund und zerschmetterte seine Zähne, der zweite traf ihn zwischen den Augen. Er stockte und ließ den Speer fallen. Seine Hand fuhr an den Mund. Dann sackte er, als ob seine Knochen zu Wasser geworden wären, vor Keevas Füßen zusammen.
Sie sah sich nach dem Grauen Mann um, doch er war nach drinnen gegangen. Sie blickte den Toten an, ihr wurde übel. Der andere Wachmann stieß ein Stöhnen aus. Er rollte sich auf den Bauch und versuchte, davonzukriechen. Keeva stellte sich über ihn.
»Bleib still liegen«, sagte sie. »Niemand wird dir noch etwas tun …«
Sie kniete neben ihm nieder und legte eine Hand auf seine Schulter, um ihm zu helfen, sich auf den Rücken zu drehen. Er entspannte sich bei ihrer Berührung, und sie sah ihm in die Augen. Er war jung, glatt rasiert, und hatte große braune Augen. Keeva lächelte ihn an. Er schien etwas sagen zu wollen. Dann krachte ein Bolzen seitlich in seinen Kopf und durchschlug die Schläfe.
Wut übermannte Keeva, und sie fuhr zu dem Grauen Mann herum. »Warum?«, zischte sie.
»Sieh dir seine Hand an«, sagte Waylander. Keeva blickte hinunter. Das Mondlicht glitzerte auf einer Messerklinge.
»Du weißt nicht sicher, ob er es benutzen wollte«, sagte sie.
»Ich wusste jedenfalls nicht, dass er es nicht wollte«, sagte Waylander. Er ging an ihr vorbei, zog den Bolzen aus dem Kopf des Soldaten, säuberte ihn an dem Hemd des Mannes und steckte ihn wieder in den Köcher. »Wir haben jetzt keine Zeit für Lektionen, Keeva Taliana«, sagte er. »Wir sind umringt von Feinden, die uns nach dem Leben trachten. Zögern heißt sterben. Lerne schnell, oder du wirst die Nacht nicht überleben.«
Hinter ihnen rief Ustarte schwach. Waylander kniete neben ihr nieder.
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