Waylander der Graue
»Im Turm sind Kriaz-nor. Der Wind kommt vom Meer, und sie werden das Blut riechen.«
»Wie viele kannst du spüren?«, fragte er.
»Vier. Da ist noch etwas anderes. Ich kann es nicht ganz festmachen. Es wurden Morde verübt, und in der Luft ist ein Beben. Magie wird gewirkt, aber ich kann nicht sagen, zu welchem Zweck.«
Waylander nahm ihre Hand. »Wann wirst du gehen können?«
»Noch ein bisschen. Meine Glieder zittern. Ich habe noch keine Kraft.«
»Dann ruh dich aus«, sagte Waylander, stand auf und ging zu Keeva. »Ich habe hier etwas für dich, das dich stärken wird«, sagte er.
Wieder rief Ustarte ihnen etwas zu. »Zwei Kriaznor sind auf den Stufen zur Terrasse.«
Langbein war auf der Hut. Er hatte sein Schwert noch nicht gezogen. Dafür war noch Zeit. Im Augenblick benutzte er all seine Sinne. Er konnte jetzt das Blut riechen und den säuerlichen Geruch von Urin. Die Blase des Toten hatte sich entleert. Der Geruch der Bastard-Frau war ebenfalls stark, und Langbein konnte darin ein ungesundes Aroma entdecken. Die Frau war krank. Stein-Vier bewegte sich zu hastig und war ihm schon ein paar Schritte voraus. Verärgert holte Langbein ihn ein.
»Warte!«, befahl er.
Stein-Vier gehorchte, und sie schlichen vorsichtig um die Ecke. Etwa fünfzehn Schritte vor ihnen saß ein dunkel gekleideter Mensch auf einem Stein. In der linken Hand hielt er eine Doppelarmbrust. Hinter ihm lag die Katzenfrau.
»Lass mich ihn töten«, bat Stein-Vier. »Ich möchte mir einen Namen machen!«
Langbein nickte und sog weiter schnüffelnd die Luft ein.
Stein-Vier trat auf den Menschen zu. »Deine Waffe sieht großartig aus«, sagte er. »Warum zeigst du mir nicht, wie großartig sie ist?«
»Komm ein wenig näher«, sagte der Mensch mit ruhiger Stimme.
»Dieser Abstand reicht doch sicher«, erwiderte Stein-Vier.
»Ja, das reicht. Wolltest du dein Schwert ziehen?«
»Das werde ich nicht brauchen, Mensch. Ich werde dir das Herz mit den Händen ausreißen.«
Der Mensch stand auf. »Man sagt, dass ihr sehr schnell seid und dass Pfeile nutzlos gegen euch sind. Stimmt das?«
»Es stimmt.«
»Schauen wir mal«, sagte der Mann. Seine Summe war plötzlich kalt.
Langbein fühlte, wie Angst in ihm hochkroch, als er den Ton des Mannes hörte, doch Stein-Vier war angespannt und bereit. Die Armbrust fuhr hoch, Stein-Vier riss die Hand hoch und fing den Bolzen aus der Luft. Unverzüglich folgte ein zweiter Bolzen dem ersten. Stein-Vier bewegte sich blitzartig und schnappte ihn mit der linken Hand. Er grinste breit und sah zu Langbein. »Einfach!«, sagte er. Ehe Langbein ihn warnen konnte, zuckte die rechte Hand des Menschen vor. Das Wurfmesser schoss durch die Luft und drang in Stein-Viers Kehle. Mit durchtrennter Luftröhre machte der Kriaznor noch zwei taumelnde Schritte auf den Menschen zu, dann schlug er der Länge nach hin.
Langbein zog sein Schwert. »Hast du noch mehr Tricks auf Lager, Mensch?«, fragte er.
»Nur einen«, antwortete der Mann und zog ein Kurzschwert.
»Und welcher könnte das sein?«
Langbein hörte ein leises Geräusch hinter sich. Er wirbelte herum und spähte umher. Da war nichts außer den niedrigen Büschen und Steinen, hinter denen sich ein Mensch nicht verstecken konnte. Dann sah er etwas so Merkwürdiges, dass er zuerst nicht erkannte, was es war. Plötzlich ragte eine Armbrust vom Boden auf. Langbein blinzelte. Er konnte nicht deutlich sehen. Die Waffe neigte sich, und in diesem Bruchteil einer Sekunde sah Langbein eine schlanke Hand auf der Waffe. Zwei Bolzen schossen auf ihn zu. Sein Schwert fuhr hoch und blockte den ersten ab. Der zweite traf ihn in die Brust und grub sich tief in seine Lunge. Ein Schwert stieß in seinen Rücken. Langbein bog sich durch und fuhr herum, sein Schwert durchschnitt die Luft. Doch der Mensch hatte sich nicht von hinten angeschlichen, wie er gedacht hatte. Der Mann stand noch immer fünfzehn Schritt entfernt. Er hatte das Schwert geworfen! Langbein fühlte, wie seine Kraft zerrann. Er ließ sein Schwert fallen, ging steif zu einem Stein und setzte sich schwer nieder.
»Du bist sehr geschickt, Mensch«, sagte er. »Wie hast du die Armbrust zum Schießen gebracht?«
»Hat er nicht«, sagte eine weibliche Stimme.
Langbein wandte den Kopf nach links und sah den Kopf einer Frau, der plötzlich auftauchte und in der Luft zu schweben schien. Dann kam ein Arm in Sicht, der eine Bewegung machte, als würde er einen Umhang beiseite schieben.
Dann dämmerte es ihm.
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