Waylander der Graue
Song Xiu.
Die Riaj-nor griffen an. Kysumu verlor Yu Yu aus den Augen und rannte hinter Song Xiu und den anderen her. Sie warfen sich auf den Feind. Die Kriaznor wichen nicht, und die erschöpften Angreifer konnten sie nicht zurücktreiben.
Der Kampf wurde jetzt wie im Traum geführt, die Bewegungen der Krieger waren langsam und träge. Endlich wichen beide Seiten zurück und starrten einander böse an. Es waren nur noch acht Angreifer auf den Beinen und vierzehn Kriaznor.
In der Atempause sah sich Kysumu nach Yu Yu um. Er wusste, was er sehen würde.
Er lag dicht vor dem Tor. Sein Schwertarm war abgetrennt. Das Rajnee- Schwert lag daneben. Kysumu wurde übel vor Kummer. Dann sah er, wie der Körper zuckte. Die Kriaznor, die das Tor bewachten, waren vorgerückt, um ihren Kameraden beizustehen. Keiner von ihnen konnte Yu Yu sehen.
Kysumu sah zu, wie Yu Yu sich auf die Seite drehte. Er hatte eine grausame Wunde im Bauch, seine Eingeweide waren herausgequollen. Trotzdem begann er zu kriechen und hinterließ eine blutige Spur auf den Steinen. Yu Yu griff mit seiner linken Hand nach dem Schwert. Er stöhnte. Einer der Kriaznor drehte sich um. Yu Yu schleuderte das Schwert in das Tor.
Es leuchtete gleißend hell auf, begleitet von einem hohen Summen, das den Boden vibrieren ließ. Die blauen Blitze hörten auf. Stattdessen bedeckte ein silberner Schimmer das Tor.
Plötzlich machten die Kriaznor kehrt und rannten zum Torbogen. Dreizehn schafften es, doch als der letzte Krieger hindurchwollte, wurde aus dem silbernen Schimmer plötzlich massiver Fels. Zuerst schien es, als wäre der Krieger mitten im Tor stecken geblieben. Doch dann glitt sein Körper an dem Fels herunter und fiel auf den Rücken. Er war in zwei Hälften geteilt.
Kysumu lief zu Yu Yu. Sanft drehte er ihn um. Yu Yus Augen waren offen.
»Oh, mein Freund«, sagte Kysumu unter Tränen. »Du hast das Tor geschlossen.«
Yu Yu konnte ihn nicht mehr hören, und Kysumu blickte in das tote Gesicht hinunter. Er drückte Yu Yu an sich und wiegte sich vor und zurück. Song Xiu kam zu ihm und setzte sich. Eine Weile saßen sie schweigend, und Kysumu weinte. Dann sprach er leise.
»Er war ein guter Mann.« Kysumu küsste Yu Yu auf die Stirn, dann legte er ihn sanft zu Boden. »Es ergibt keinen Sinn für mich«, sagte Kysumu und wischte sich die Tränen ab. »Er hätte leben können. Er wollte nicht der pria-shath sein. Er wollte nicht gegen Dämonen kämpfen und sterben. Also warum? Warum hat er sein Leben weggeworfen?«
»Er hat es nicht weggeworfen, Mensch. Er hat es gegeben. Für dich, für mich, für dieses Land. Warum, glaubst du wohl, war er erwählt? Wenn die QUELLE den besten Schwertkämpfer gewollt hätte, hätte sie vielleicht dich erwählt. Aber das wollte sie nicht. Sie wollte einen Menschen. Einen gewöhnlichen Menschen.« Song Xiu kicherte. »Einen Grabenbauer mit einem gestohlenen Schwert. Und sieh dir an, was dieser Grabenbauer erreicht hat.«
»Es macht mich einfach traurig«, sagte Kysumu und streichelte Yu Yus Gesicht.
»Mich macht es stolz«, sagte Song Xiu. »Ich werde seine Seele in der Leere suchen und mit ihm zusammen wandern.«
Kysumu sah den Krieger an. Song Xius Haar war grau, sein Gesicht alterte. »Was geschieht mit dir?«
»Ich sterbe«, sagte Song Xiu. »Unsere Zeit ist abgelaufen.«
Kysumu fuhr herum und sah, dass die anderen Riaj-nor alle reglos am Boden lagen. »Warum?«, fragte Kysumu.
»Wir hätten schon vor Tausenden von Jahren sterben sollen«, erklärte Song Xiu. Seine Stimme war kaum mehr ein Wispern. »Wir wussten, wenn wir zurückkehrten, dass uns nur ein paar Tage blieben. Yu Yu Liang war den Preis wert, den wir bezahlen mussten.«
Song Xiu legte sich hin. Sein Haar war jetzt weiß, die Haut seines Gesichtes trocken wie altes Pergament.
Kysumu ging zu ihm. »Es tut mir so Leid«, sagte er. »Ich … ich habe euch falsch beurteilt. Euch alle. Ich war ein Dummkopf. Verzeih mir!«
Der Riaj-nor antwortete nicht. Ein leichter Wind blies durch die Ruinen. Song Xius Körper bebte und zerfiel zu Staub.
Kysumu blieb noch eine Weile sitzen, in Gedanken und bittersüße Erinnerungen verloren. Dann nahm er sein Schwert und grub ein Grab für Yu Yu Liang. Er bedeckte es mit Steinen, dann steckte er sein Schwert ein und wanderte aus den Ruinen von Kuan Hador.
Waylander nahm seine Armbrust und seine Messer und stieg die Treppen zu der tiefer gelegenen Bibliothek hinunter. Keeva saß dort, doch von den beiden Kriegern war
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