Waylander der Graue
Keeva.
»Du weißt nicht viel über Männer, nicht wahr?«, sagte Norda mit einem raschen Lächeln. »Wenn Lalitia vorbeigeht, kannst du hören, wie ein Kinn nach dem anderen herunterklappt. Starke Männer, kluge Männer, gelehrte Männer sogar Priester –, alle fallen unter den Bann ihrer Schönheit. Sie sehen nur, was sie sehen wollen. Frauen dagegen sehen in ihr das, was sie ist: eine Hure. Und gar nicht so jung, wie sie vorgibt. Ich würde sagen, sie ist den vierzig näher als den fünfundzwanzig, die sie angibt.«
Inzwischen waren noch andere Dienstboten gekommen, nahmen sich etwas zu essen und suchten sich einen Platz. Ein junger Mann in grauem Kettenhemd kam zu ihnen. Er nahm seinen Helm ab und lächelte Norda an. »Guten Morgen«, sagte er. »Willst du mich diesem Neuankömmling nicht vorstellen?«
Norda lächelte. »Keeva, dies ist Emrin, der Sergeant der Wache. Er hält sich für viel besser aussehend, als er ist, und wird alles in seiner Macht Stehende tun, um dich in sein Bett zu bekommen. Das ist leider seine Natur. Also urteile nicht zu hart über ihn.«
Keeva sah zu dem Mann auf. Er hatte ein rundes, hübsches Gesicht und blaue Augen. Sein Haar war hellblond, kurz geschnitten und dicht gelockt. Emrin streckte die Hand aus, und Keeva schüttelte sie.
»Glaub kein Wort, das Norda über mich sagt«, bat er. »In Wirklichkeit bin ich eine liebe, sanfte Seele, auf der Suche nach dem vollkommenen Partner für mein Herz.«
»Den hast du doch gewiss gefunden, als du zum ersten Mal in einen Spiegel blicktest«, sagte Keeva süß lächelnd.
»Leider ja«, gab Emrin mit entwaffnender Aufrichtigkeit zu. Er nahm ihre Hand, küsste sie und wandte sich dann Norda zu. »Vergiss nicht, deiner neuen Freundin zu erzählen, was für ein großartiger Liebhaber ich bin«, sagte er.
»Das werde ich«, erklärte Norda. Sie sah Keeva an. »Die besten zehn Sekunden, die ich je erlebt habe.« Beide Frauen lachten.
Emrin schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich sollte besser gehen«, sagte er, »solange ich noch ein Fünkchen Würde habe.«
»Zu spät«, erklärte Keeva. Der Mann grinste und ging davon.
»Gut gegeben«, sagte Norda. »Jetzt wird er dich mit noch größerem Eifer verfolgen.«
»Darauf bin ich nicht gerade scharf«, sagte Keeva.
»Oh, du solltest ihn nicht ganz abschreiben. Wie er sagt, ist er wirklich ganz gut im Bett. Nicht gerade der Beste, den ich kenne, aber mehr als ausreichend.«
Keeva brach in Gelächter aus, und Norda fiel ein.
»Wer war denn der Beste?«
Keeva wusste im selben Augenblick, dass es die falsche Frage war, als sie heraus war. Die gute Laune verschwand aus Nordas Gesicht. »Tut mir Leid«, sagte Keeva rasch.
»Das muss es nicht«, erklärte Norda und legte ihre Hand über Keevas. »Und jetzt beenden wir lieber unser Frühstück, denn es gibt viel zu tun. Heute sollen noch ein paar Gäste kommen, und einer von ihnen ist ein Kiatze. Glaub mir, kein anderes Volk macht so ein Getue.«
KAPITEL 3
Mit langen, gemächlichen Zügen schwamm Waylander durch das kalte Wasser. Er spürte die warme Sonne auf dem Rücken und tauchte tief durch Schwärme von silbernen Fischen, die vor ihm auseinander stoben. Er drehte und wand sich und empfand überschäumende Freude. Hier herrschte Stille, und er war – beinahe – zufrieden. Entspannt ließ er sich nach oben zur Sonne hin treiben. Als er die Oberfläche durchbrach, sog er tief die Luft ein und warf den Kopf in den Nacken, um sich die Haare aus dem Gesicht zu schütteln. Dann trat er Wasser und betrachtete die Bucht.
Im Hafen gegenüber löschte ein Dutzend Schiffe die Ladung, während weiter draußen in der Bucht zwanzig weitere Schiffe auf das Signal zum Anlegen warteten. Achtundzwanzig der Schiffe fuhren unter der Flagge des Baumes. Seine Schiffe.
Es schien Waylander unglaublich, dass ein Mann wie er, der nicht viel von den Feinheiten des Handels verstand, so lächerlich reich geworden war. Gleich, wie viel er jetzt ausgeben oder auch verschenken mochte, es floss immer mehr Gold herein. Matze Chai und andere Kaufleute hatten Waylanders Geld gut angelegt. Doch selbst seine eigenen Unternehmungen hatten sich bezahlt gemacht. Alles großer Unsinn, dachte er, während er im Wasser trieb. Er hatte den Überblick verloren, wie viele Schiffe er besaß. Etwas über dreihundert. Dann noch die Minen – Smaragde, Diamanten, Rubine, Gold und Silber –, verstreut vom Hinterland in Ventria bis zu den östlichen Bergen in Vagria.
Er
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