Weasels: Donnereiche (Weasels 1) (German Edition)
darauf. »Dort oben, auf Stachels Kopf.«
Die Priesterin schloss die Augen halb. »Sprich nicht davon in deiner barbarischen Ungläubigensprache, die aus deinem gotteslästerlichen Mund dringt. Da ist das Blut von tausend Pikpiks, den ersten Anhängern von Stachel, damals in uralten Zeiten… Zu Anfang…«, intonierte die Priesterin und verfiel in einen rituellen Singsang.
»Eine Flasche mit Blut?«, sagte Alissa. »Welchen Sinn soll das haben?«
»Herrje«, schrie die Priesterin, wobei sie widerwillig ihren Singsang unterbrach, »nur ein gottloses Wiesel kann solch eine Frage stellen. Es ist das Lebensblut von Stachel, das nicht in seinem Körper enthalten ist, sondern außerhalb davon existiert und ihm Gedanken, Wünsche und Energie verleiht. Ohne das Blut der Pikpiks ist der Große Gott Stachel nur ein Haufen Knochen.«
»Ich verstehe. Diese versiegelte Flasche ist also sozusagen das Herz von Stachel.«
»Jetzt endlich begreifst du«, schrie die Priesterin. Sie wandte sich an die Menge. »Sie begreift. Sie begreift.«
Ein allgemeines Raunen der Anerkennung lief durch die Reihen der vielen Kapuzen-Igel.
»In diesem Fall«, murmelte Alissa, an der immer noch Wut und Entsetzen über das ihr Widerfahrene nagten, »wollen wir doch mal sehen, wie er ohne Herz zurecht kommt.«
Alissa brachte blitzschnell ihre Steinschleuder zum Vorschein, nahm einen Kiesel aus dem Beutel an ihrem Gürtel und schwenkte die Waffe um ihren Kopf. Sie ließ einen braunen Stein, der aus einem Fluss stammte, auf die große Flasche sausen. Er traf das Ziel haargenau in der Mitte und zerschmetterte das Glas; eine rote Flüssigkeit rann über das Gesicht des Gottes in dessen schnabelartige Augen.
Mit einem Mal sah Stachel nicht mehr erschreckend aus – er wirkte vielmehr verdattert und trug einen Ausdruck der Fassungslosigkeit im Gesicht.
Die Flasche war sehr voll gewesen. Während die Flüssigkeit in Stachels Glieder hinabsickerte und den Lehm wegwusch, zerfiel er vor den Augen der Menge; seine unzähligen Rippen-Stacheln bildeten scheppernd einen formlosen Haufen am Boden. Sie konnten zusehen, wie er buchstäblich zu einer Knochenruine zerfiel.
Die Priesterin stimmte ein lautes Wehklagen an, dessen Echo von der Menge der Igel zurückschallte. Sie rissen sich die Kapuzen von den Köpfen und starrten voller Entsetzen ihren tödlich verwundeten Gott an, dessen Lebenssaft vor ihren Augen versickerte. Pein erfüllte die nächtliche Luft. Die Igel rollten sich in ihrem Kummer im Dreck, wobei sie alte Blätter mit ihren Stacheln aufspießten und sich mit Gras und Stücken von Zweigen bedeckten.
»Warum hast du das getan?«, jammerte die Priesterin. »Warum hast du unseren Gott zerstört?«
»Er war kein sehr angenehmer Zeitgenosse, oder?«, gab Alissa zurück und hob ihre Eierschale von der Stelle auf, die Stachels Fuß gewesen war. »Das müsst ihr doch zugeben. Ihr seid entschieden besser dran ohne ihn. Er hat euch nichts gegeben außer Angst. Sucht euch einen netten Gott, einen Apfelgott oder so etwas. Ihr könnt froh sein, dass ihr den hier los seid, der ständig Opfer verlangt hat.«
»Einen Apfelgott?«, schrie die Priesterin. »Was redest du denn da?«
»Eine nette Erntegottheit. Ein Gott, der euch etwas gibt, worauf ihr euch freuen könnt. Bedenkt doch das Unglück, das dieser hier verbreitet hat. Nein, nein, mit einem Apfelgott wärt ihr viel besser dran – mit rosigen Wangen und kugelrund…«
Mit diesen Worten flitzte Alissa in die Nacht davon, bevor sich die Igel von ihrem Schrecken erholt hatten. Sie waren erstarrt vor Kummer, doch bald würde ihnen einfallen, wer ihn verursacht hatte. Ihre wertvolle Fracht, die Eierschale, behutsam in den Händen haltend, rannte sie davon wie ein Hase. Sie wollte eine möglichst große Entfernung zwischen sich und den Igelkult bringen.
Das Ganze war für Alissa eine sehr hässliche Begebenheit gewesen, die sie auf keinen Fall noch einmal erleben wollte. Die grauen Finger des Morgens krallten sich am Himmel empor, während sie die Landschaft durchquerte. Bald würde der Tag anbrechen. Es war Zeit, zur Ruhe zu kommen und wieder klare Gedanken zu fassen.
Als der Morgen heraufzog, fühlte sie sich schrecklich müde und machte sich zum Schlafen unter den Wurzeln einer Ulme bereit. Als Erstes nahm sie ihre Eierschale und schob sie in ein Loch neben der Wurzel, um sie zu verstecken. Aber zu ihrem Entsetzen bemerkte sie eine Veränderung an dem Gegenstand.
Die Landkarte war weg!
Sie zog das
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