Weasels: Donnereiche (Weasels 1) (German Edition)
Eingeweiden.
Kunicht flüsterte: »Ich habe da drin eine Bewegung gesehen.«
Die Kreatur reckte sich, nachdem sie offenbar in der dunklen Höhle des Baumes geschlafen hatte, und kam heraus, den drei Wieseln entgegen.
Das Wesen hatte den Körper eines Löwen und den Kopf, die Flügel und die Krallen eines Adlers. Die Augen in dem gefiederten Kopf waren von Lidern verhangen und ihr Blick hatte etwas Unnatürliches. Ein schrecklicher Schnabel öffnete und schloss sich langsam, wie zu einer Art Warnung. Wuchtige Krallen griffen beim Gehen in die Erde und zermalmten Steine zu Pulver. Die gewölbten Muskeln entlang des löwenhaften Rückens spannten und wellten sich bei jeder Bewegung.
»Ein Greif«, murmelte Sylber. »Was immer ihr tut, dreht euch nicht um und lauft nicht davon. Wendet ihm immer das Gesicht zu. Man kann einem Greifen nicht davonlaufen. Sowohl seine Flügel als auch seine Beine sind die schnellsten in ganz Welkin.«
»O Gott!«, flüsterte Kunicht. »Ich möchte nach Hause.«
»Reiß dich zusammen«, schimpfte Grind. »Es ist doch nur… es ist doch nur ein Greif.« Er machte nicht den Eindruck, als ob er selbst von dem Wort »nur« überzeugt wäre.
Der Greif hielt ein paar Schritte von der Eiche entfernt inne und stand da wie ein Wächter. Nun, da sie näher an ihm dran waren, erkannten sie, dass die mythische Gestalt eine Statue war. Wahrscheinlich hatte sie irgendwann einmal auf einem Gebäude gestanden, doch jetzt hatte sie offenbar eine andere Funktion – den Schutz der Donnereiche.
Die Wiesel wirkten winzig neben dem Steinmonster und mussten sehr vorsichtig vorangehen.
Als sie sich der Eiche näherten, sprach der Wächter des Baumes sie in der dumpfen Tonlage von Granit an. »Halt! Wohin des Wegs?«
»Zur Eiche«, antwortete Sylber ohne Zögern. »Wir suchen einen Hinweis auf den Verbleib der Menschen. Man hat uns gesagt, ein solcher könnte in der Eiche zu finden sein.«
Anscheinend dachte der Greif sehr gründlich über diese Äußerung nach, bevor er sich eine Antwort zurechtlegte. »Es gibt einige unter uns«, sagte er, »die die Rückkehr der Menschen nicht wünschen.«
»Und ist das deiner Meinung nach der Menschenrasse gegenüber gerecht?«
Wieder überlegte sich der Greif seine Antwort lange. »Vielleicht wollen die Menschen gar nicht gefunden werden.«
»Ich kann es einfach nicht glauben, dass alle von ihnen Welkin verlassen wollten«, erwiderte Sylber. »Vielleicht hatten einige ihre Gründe zu gehen, aber Menschen sind bekannt dafür, dass sie sich unter sich nicht einig sind. Vielleicht sind jene, die gern zurückkehren möchten, nicht in der Lage dazu. Vielleicht haben sie sich verirrt oder sind in irgendeine Falle geraten. Ich würde ihnen gern Gelegenheit geben, nach Hause zurückzukehren.«
»Und wenn du dich irrst?«
»Wenn keiner von ihnen zurückkommen möchte, dann können sie ja einfach bleiben, wo sie sind, oder nicht?«
Der Greif schüttelte den großen gefiederten Kopf und ließ die Muskeln an seinem Löwenrücken spielen. »Ihr dürft euch der Eiche nicht nähern. Ich habe mein Leben der Aufgabe gewidmet, ihr Geheimnis zu wahren. Zieht weiter!«
Sylber war ratlos, was sie jetzt tun sollten. Er wusste, dass die drei Wiesel es niemals mit dem Greifen würden aufnehmen können, und dieser war offenbar fest entschlossen, sie fern zu halten, wie überzeugend ihre Argumente auch sein mochten. Das Problem mit Steinwesen war, dass man ihnen nicht mit Vernunft beikam. Sie verfügten über keine echten geistigen Fähigkeiten, sondern taten nur so als ob, so wie ihre Körper lediglich so taten, als wären sie echte Geschöpfe.
»Wenn wir uns der Eiche aus drei verschiedenen Richtungen nähern«, erklärte er den anderen beiden, »dann gelingt es vielleicht einem von uns, durchzukommen und den Hinweis zu finden.«
Kunicht schüttelte heftig den Kopf. »Das mache ich nicht – dabei werde ich bestimmt getötet. Ihr beide könnt es machen, wenn ihr wollt, aber ich gehe keinen Schritt näher ran.« Er hörte sich fest entschlossen an.
Grind sagte: »In diesem Fall stimme ich mit Kunicht überein, Sylber – dieses Ungeheuer wird uns alle drei in Stücke reißen, und zwar in so vielen Sekunden, wie das Wort ›Rhabarber‹ Silben hat. Aber ich glaube, ich habe eine Idee. Vielleicht funktioniert es. Lass es mich versuchen.«
»Was auch immer, tu’s«, bat der verzweifelte Sylber. »Jetzt sind wir schon so weit gekommen – wir können doch nicht mit leeren Pfoten nach
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