Weber David - Schwerter des Zorns - 2
er zunächst vermutet hatte. Der Clanpatriarch und Handels
baron stand mitten in seinem dritten Jahrhundert, obwohl die sehni
gen Muskeln, die für seine Rasse so charakteristisch waren, erst jetzt
die Elastizität seiner Jugend zu verlieren begannen. Trotz ihres Grö
ßenunterschieds hätte Bahzell nicht einmal jetzt gern gegen Kilthan
gefochten, geschweige denn, als er noch in der Blüte seiner Jahre
stand.
Doch im Lauf des letzten Jahrhunderts hatten sich statt Streitäxten
Frachtkutschen, Handelsschiffe, Kreditbriefe und Investitionsmittel
zu Kilthans tödlichsten Waffen entwickelt. Er bevorzugte einfache
Kleidung, die zwar gut geschneidert und aus solidem, nützlichem
Stoff war, verzichtete jedoch auf Seide und Samt, und schmückte
sich auch nicht mit Juwelen und Goldstickereien, die andere so
schätzten. Er sah wirklich nicht aus wie einer der reichsten Männer
Norfressas. Eher wie ein gereizter Lehrer, wie er so dastand, die
Hände in die Hüften gestemmt. Dieser Eindruck änderte sich jedoch
schlagartig, wenn man ihm in die Augen sah. In diese merkwürdi
gen, bernsteinfarbenen Augen, in denen ein stählerner Kern funkel
te, und mit denen er auf die Welt hinausblickte.
»Was ist denn verdammt noch mal so wichtig?« wollte der Pferde
dieb wissen, schob jedoch einen Stofffetzen zwischen die Seiten, die
er gerade las, und legte das Buch gehorsam zur Seite, wie ein kleiner
Junge, der der Aufforderung folgt, das Geschirr vom Abendessen
abzuwaschen, bevor er richtig Ärger bekommt.
»Wir müssen reden. Und ich will dir etwas zeigen. Komm jetzt
endlich!«
Kilthan drehte sich um und stampfte hinaus. Bahzell zuckte mit
den Schultern, wuchtete sich aus dem Sessel, klopfte aus langer Ge
wohnheit kurz an seine Hüfte, um sich zu vergewissern, dass er sei
nen Dolch angehängt hatte, und folgte dem Zwerg.
Im Flur wartete noch eine andere Person, und Bahzell streckte lä
chelnd die Hand aus, als er einen anderen Freund begrüßte. Rian
thus von Sindor war ein Mensch, ein ehemaliger Major der König
lich-Kaiserlichen Armee, der zum Kommandeur der kleinen Privat
armee aufgestiegen war, die das Handelsimperium des Clans Har
kanath außerhalb des Reiches der Axt beschützte. Bahzell und Bran
dark hatten in der Zeit, in der sie unter seinem Befehl dienten, einen
tiefen Respekt vor ihm entwickelt.
»Ist er immer so?« Bahzell deutete mit dem Kopf auf Kilthan, wäh
rend die beiden dem Zwerg durch den Flur folgten.
»Wie?« antwortete Rianthus. »Ihr meint aufgeblasen, nörgelig und
etwas hochmütig?«
Ein lautes Schnauben ertönte vor ihnen und Bahzell grinste.
»Aye. Allerdings dachte ich eher an ziemlich arrogant.«
»So ist er nur, wenn er wach ist«, versicherte ihm Rianthus.
»Ich habe allen Grund, arrogant mit eurem Haufen umzugehen«,
sagte Kilthan, ohne sich umzudrehen. »Es ist vollkommen sinnlos,
Liebenswürdigkeit an euch zu verschwenden, weil ihr nichts merkt,
bis es euch in den Hintern beißt.«
»Willst du damit sagen, dass wir ein bisschen … schwerfällig
sind?« fragte Bahzell unschuldig.
»Ich will sagen, dass ich mit Felsbrocken auf Du und Du stehe, die
mehr Hirn haben als ihr beide!« schoss Kilthan zurück. Jetzt lachte
Bahzell.
»Heda! Spricht man so mit einem Mann, der bei Tomanâk unter
schrieben hat?«
»Ha! Ich habe noch nie einen Paladin von Tomanâk getroffen, den
man nicht außerhalb eines Schlachtfeldes hätte an die Hand nehmen
und ihm mit einer Laterne heimleuchten müssen!« konterte Kilthan.
Wieder lachte Bahzell.
Kilthan sagte nichts mehr, selbst als der Pferdedieb ihm noch eini
ge gute Vorlagen gab, bis Bahzell schließlich mit der Schulter zuckte
und aufgab. Kilthandahknarthas von den Silbernen Kavernen war
gewohnt, die Dinge so zu handhaben, wie es ihm gefiel, und er ver
schwendete seine Zeit oder die von anderen niemals an Frivolitäten
oder Frotzeleien. Was er besprechen wollte, war vermutlich tatsäch
lich wichtig, und Bahzell war gern bereit, sich seinem Verhalten an
zupassen.
Während sie dem Zwerg folgten, plauderten der Pferdedieb und
Rianthus liebenswürdig miteinander und erzählten sich, was sie je
weils erlebten hatten, seit Bahzell und Brandark Kilthans Dienste in
Riverside verlassen hatten. Der Hradani genoss das Gespräch. Es
war gut, von den Erfahrungen eines Mannes zu hören, der sein Waf
fengefährte gewesen war, und der kleine Marsch bot ihm außerdem
Gelegenheit, etwas mehr von den Silbernen Kavernen zu sehen als
das, was er bei seiner Ankunft gestern Abend hatte zu sehen
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