Weber David - Schwerter des Zorns - 2
flüstern. Als sich der Blick der brau
nen Augen seines Gottes in ihn brannte, vollendeten sie das Werk
der Zerstörung an seiner Überheblichkeit, die Bahzell bereits zutiefst
gedemütigt hatte. Vor ihrem göttlichen Blick fühlte sich Vaijon nackt
und seine Seele war der schrecklichen Macht ihres Wissens ausge
setzt. Schließlich waren es die Augen des Gottes der Gerechtigkeit
und Wahrheit, und ihr Vermögen demaskierte all die erbärmlichen
Täuschungen und aufgeblasenen Selbstgefälligkeiten, die ihm ein
mal so bedeutsam erschienen waren.
Dennoch enthielt dieser sengende Augenblick der Selbsterkenntnis
auch eine merkwürdige Gnade. Er empfand nicht einmal Scham,
denn zwischen ihm und der Macht des Wesens, dem diese Augen
gehörten, lag ein zu weiter Abgrund. Kein noch so geheimer Winkel
seiner Seele blieb ihrem Blick verborgen, denn sie verhüllten auch
ihre Essenz nicht vor ihm. Er war sich seiner Erniedrigung bewusst:
den zahllosen Verfehlungen an den Maßstäben, die Tomanâk von
seinen eingeschworenen Gefolgsleuten verlangte. Doch er spürte
auch die Bereitschaft des Gottes, ihm eine zweite Chance zu gewäh
ren. Er würde ihm zwar nicht vergeben, ihm jedoch gestatten, sich
selbst zu verzeihen und zu beweisen, dass er lernen konnte, sich des
Gottes als würdig zu erweisen, dem er schon immer hatte dienen
wollen.
Als diese Erkenntnis Vaijon von Almerhas dämmerte, begriff er
auch endlich das besondere Band zwischen Tomanâk und Bahzell
Bahnakson. Sie waren vom gleichen Schlag, Gott und Paladin, mit
einander auf eine unerschütterliche und tiefe Weise verbunden, auf
die Vaijon soeben nur einen winzigen Blick hatte werfen können. Es
war, als glühte ein Funke von Tomanâk unauslöschlich in Bahzells
Seele und wäre ein untrennbares Stück von ihm geworden, das
durch das Wesen des Hradani abgeschwächt und in etwas verwan
delt wurde, dem einfache Menschen vertrauen und dem sie folgen
konnten. Etwas, worin sie einen Maßstab fanden, dem sie wahrhaf
tig nachstreben konnten, ein Spiegel und eine Inspiration, die gleich
zeitig ihre eigene Sterblichkeit teilte. Und genau das, so begriff Vai
jon plötzlich, machte einen wahren Paladin aus: der furchtlose Wille
und die eigensinnige Entschlossenheit, die vor seinem eigenen ober
flächlichen Hochmut zurückzuckte und beinah demütig ihre Gren
zen eingestand, innerhalb dieser Grenzen jedoch mit stählernem
Mut ihrer Überzeugung folgte und die Stärke besaß, eine Intimität
mit der Macht einer Gottheit zu ertragen, die sich nur wenige Sterb
liche auch nur annährend vorstellen konnten. Nicht das, was Bahzell
tat, sondern das, was und wer er war machte es aus. In diesem Au
genblick wusste Vaijon, dass er die Myriaden von Verbindungen
und Überkreuzungen zwischen dem Paladin und der Gottheit weit
klarer sah, als Bahzell selbst sie jemals erkennen würde. Deshalb be
griff er auch, warum Bahzell seinen Gott stehend grüßte, nicht auf
den Knien, und er sah den tiefen Respekt, der hinter dieser schein
baren Unbekümmertheit lag.
»Ja, ich glaube, du hast gelernt, Vaijon«, erklärte Tomanâk nach ei
ner Weile. »Es war eine harte Lektion, aber die Lektionen, die am
tiefsten wirken, sind immer die härtesten. In deinem Herzen ist kein
Widerwille.« Vaijon blinzelte verblüfft, als er merkte, dass es stimm
te. Tomanâk lächelte. »Du hast also die ganze Lektion gelernt, nicht
nur die einfachen Übungen, mein junger Ritter. Sehr gut!« Wieder
lachte der Gott, diesmal zwar leiser und freundlicher, aber nicht we
niger mächtig. »Ich bin erfreut, Vaijon. Vielleicht lebst du nun end
lich die Möglichkeiten aus, die mein Herr Charrow schon immer in
dir sah.«
»Ich werde es versuchen, Herr«, erwiderte Vaijon ungewohnt de
mütig.
»Davon bin ich überzeugt. Und ich weiß, dass du gelegentlich
Rückschläge erleiden wirst«, fuhr Tomanâk fort. »Aber schließlich
erleiden selbst meine Paladine gelegentlich Rückschläge, hm, Bah
zell?«
»Vielleicht. Winzige Rückschläge. Ab und zu«, räumte Bahzell ein.
»Hmm.« Tomanâk betrachtete seinen Paladin eine Weile und nick
te schließlich. »Mich deucht, unser Vaijon hier braucht ein leuchten
des Vorbild, damit er nicht wieder den Boden verliert, den er gerade
erst gewonnen hat«, bemerkte er. »Und wenn du jemandem als Vor
bild dienen musst, verhindert das vielleicht, dass du dich von deiner
Begeisterung mitreißen lässt, Bahzell. Vielleicht sollte ich also Vaijon
in deine Obhut geben, und zwar als dein Mündel,
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