Weber David - Schwerter des Zorns - 3
beachtete den Regen nicht, doch sein
Blick war eindringlich und seine Ohren spielten unaufhörlich. Hier
oben auf der Ebene des Windes war der Frühling gerade angebrochen, und seine Herde hatte erst vor wenigen Tagen die Winterweiden verlassen. Der Hengst hätte eigentlich die Myriaden von Einzelheiten klären müssen, die diesen Wechsel in ihre vollständige Unabhängigkeit mit sich brachte, aber etwas anderes beanspruchte seine
Aufmerksamkeit. Er wusste zwar nicht genau, worum es sich handelte, aber er spürte, dass es eine Bedrohung darstellte.
Was eigentlich kaum zu glauben war. Es gab nur sehr wenige
Kreaturen auf der Welt, die in der Lage waren und es überhaupt
wagten, einen einzelnen Windrenner der Sothôii aus eigener Kraft
zu bedrohen, geschweige denn eine ganze Herde anzugreifen. Trotz
der Eleganz und Leichtigkeit, mit der er sich bewegte, wog der Leithengst über dreitausend Pfund. Seine schwarzblauen Hornhufe hatten die Größe von Speisetellern. Er war kräftig genug, um eine Wildkatze oder selbst einen der großen weißen Bären des Ewigen Eises
im Norden mit einem einzigen Tritt zu fällen. Und im Gegensatz zu
den einfacheren Pferderassen vermochte er seine Tritte mit fast
menschlichem Geist zu platzieren.
Außerdem waren er und seine Rasse ebenso gut für die Flucht gerüstet, falls das einmal nötig war. Trotz ihrer Masse waren sie so
schnell wie der Wind, und sie hielten diese Geschwindigkeit über
Stunden durch. Nach den Legenden der Sothôii waren die Windrenner von Toragan und Tomanâk geschaffen worden, die sie neben
dieser unglaublichen Geschwindigkeit und Ausdauer auch mit unvergleichlicher Klugheit und Mut ausgestattet hatten. Andere dagegen – wie Wencit von Rûm – behaupteten, dass sie ihre Existenz einem weit weniger göttlichen Eingreifen in die Naturgesetze verdankten, was ihrem Wunder jedoch keinen Abbruch tat. Sie konnten
zwar nicht mit der Beschleunigung der kleineren Kriegsrösser mithalten, waren jedoch beinahe magisch beweglich, und zwar im
wörtlichen Sinn. Und ihre von Zauberern erzeugten Eigenschaften
ermöglichten ihnen eine Schnelligkeit, bei der kein anderes Pferd
über einen längeren Zeitraum mithalten konnte, ohne tot umzufallen. Das Einzige, was ihnen fehlte, waren Hände und die Fähigkeit
der Sprache. Deshalb gewährten sie den Sothôii die Ehre, ihnen damit auszuhelfen.
Die Herde des Leithengstes, jedenfalls der größte Teil davon, hatte
den harten, verschneiten Winter als Gast auf dem Hengstgestüt
Warme Quellen verbracht. Lord Edinghas von den Warmen Quellen
war ein Vasall von Baron Tellian. Und die Windrenner der Warmen
Quellen überwinterten schon seit Generationen bei seiner Familie.
Obwohl kein Sothôii einen Windrenner mit einem Pferd verwechseln würde, entsprachen viele Bedürfnisse der Windrenner denen
der niederen Pferderassen. Sie würden den Winter selbstverständlich auch allein überstanden haben, allerdings hätten sie in diesem
Fall zweifellos das ein oder andere Fohlen verloren. Der Hafer und
der Schutz, den ihre menschlichen Freunde ihnen gewährten, hatte
die Herde ohne einen einzigen Verlust über den Winter gebracht.
Jetzt wurde es Zeit, dass sie wieder auf ihre Sommerweiden zurückkehrten.
Unter gewöhnlichen Umständen wären sie von einem Windreiter
begleitet worden, einem der Menschen, die ein besonderes Band zu
einem besonderen Windrenner ausgebildet hatten. Man konnte nur
schwer entscheiden, ob die Windrenner-Hälfte einer solchen Einheit
zu einem halben Menschen, oder der Reiter zu einem halben Windrenner wurde, aber das war letztlich auch nicht von Belang. Jeden
Frühling kehrten Windreiter und ihre Windrenner zu den Höfen
und Weiden zurück, wo die Windrenner überwintert hatten, um sie
auf ihre Sommerweiden zu eskortieren. Kein Sothôii hätte sich auch
nur im Traum einfallen lassen, diese alljährliche Migration zu verzögern, doch es gab immer noch Zeiten, in denen es nützlich war,
wenn ein Windreiter mit seiner menschlichen Stimme aushalf –
über die die Leithengste nicht verfügten.
Doch in diesem Frühling war seine Herde unruhig gewesen, weil
sich drei der jüngeren Hengste und zwei junge Stuten entschieden
hatten, in den Wintermonaten auf der offenen Steppe zu bleiben.
Der Leithengst hatte ihrem Ansinnen zwar widersprochen, aber
auch Herden von Windrennern waren nicht mit denen von gewöhnlichen Pferden zu vergleichen. Die Leithengste in einer Windrennerherde erlangten ihre Stellung nicht, weil sie einfach nur
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