Wechsel-Wind
letztes Jahr zugeflogen, und ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht, ihn fortzuschicken. Mühe macht er mir überhaupt nicht, und er spiegelt meine Stimmungen wider. Du darfst ihn dir ansehen, wenn du willst, aber versuche nicht, ihn zu berühren, er wird dir ausweichen.« Sie beugte sich vor und senkte den Kopf, so daß die Bahnebene des Mondes hinabschwang und Karen einen Blick auf Idas Trabanten erhielt. Die sonnenbeschienene Oberfläche des Mondes zeigte kleine Meere und Landmassen, sowohl Kontinente als auch Inseln; an den Polen waren Eiskappen. Als der Mond sich weiterdrehte, kam eine winzige Wolkenbank in Sicht, und über einer Region tobte ein schreckliches Unwetter. Der Mond war in der Tat eine komplette Welt für sich.
»Ach, wie niedlich!« rief Karen aus – und der Mond leuchtete etwas heller. »Wie heißt er?«
»Nun, er hat noch gar keinen Namen«, stellte Ida erstaunt fest. »Was meinst du denn, wie wir ihn nennen sollen?«
»Tja, das weiß ich auch nicht«, murmelte Karen nachdenklich. Dann hatte sie eine Idee, die so gut war, daß ihr eine Glühlampe über dem Kopf aufleuchtete. Dadurch strahlte der Mond um so heller. »In Mundanien gibt es einen Asteroiden namens Ida, und der hat einen kleinen Mond. In der Schule habe ich gelernt, daß er Daktylus heißt, das bedeutet auch irgend etwas. Aber weil das nicht dieser Mond ist, braucht er einen anderen Namen. Also wollen wir ihn Ptero nennen.«
»Terra?« fragte Jenny. »Das ist aber ein seltsamer Name.«
»Nein, er wird nur seltsam geschrieben. Pe Te E Er O. Darum mag ich ihn auch so gern. Wißt er, das war so eine Art drachenartiges fliegendes Reptil, das es früher mal gab, und das hier ist ein fliegender Mond, also…«
»Eine wunderbare Idee«, lobte Ida. »Mond, gefällt dir der Name?«
Der Mond führte einen kurzen Freudentanz auf. Karen hoffte, daß ihm dabei nicht die Regenwolke davonflog.
»Also soll er Ptero heißen«, beschloß Ida. »Vielen Dank für deinen Vorschlag, Karen. Von allein wäre ich wohl nie auf die Idee gekommen.«
»Ach, ich bin ganz sicher…« setzte Karen an. Aber Jenny zupfte sie am Ellbogen.
»Wir müssen nun nach unten«, sagte sie, »bevor man uns vermißt.«
Ach ja. Natürlich. Karen war so sehr von Idas Mond gebannt gewesen, daß sie ganz vergessen hatte, den Rückweg in die Halle fortzusetzen. Sie gingen weiter.
»Vor euch liegt eine beschwerliche Aufgabe«, sagte Jenny. »Glaubt ihr, ihr könnt den Gipfel des Rushmost erreichen und Fracto davon überzeugen, euch gegen den widrigen Wind zu helfen?«
»Ach, sicher«, sagte Karen voller Selbstvertrauen. »Dad schafft alles, was er sich in den Kopf setzt. Er ist Physikprofessor.«
»Ich bin auch sicher, daß er es schafft«, pflichtete Ida ihr bei. »Ich bin sicher, daß es ihm gelingt, Fracto zu überzeugen.«
Aus irgendeinem Grunde schien Jenny plötzlich sehr zufrieden zu sein, und Ptero Mond ebenfalls, aber Karen wußte nicht, weshalb. Sie gingen die Treppe hinunter. Ganz offensichtlich versammelten sich sämtliche Schloßbewohner dort unten. Sogar David war vom Wandteppich weggeholt worden.
»Die Dämonenführerin ist eingetroffen«, verkündete König Dor.
»Hört, hört!« rief ein Stuhl.
»Die Mission wird erfolgreich sein!« gab Jenny bekannt. »Fracto wird uns helfen.«
»Das ist gut zu wissen«, antwortete der König.
»Und Idas Mond heißt jetzt Ter… Pfter…«
»Ptero«, sagte Ida unbeirrt. »Karen hat ihn benannt.«
»Ptero – wie in Feder oder Flügel?« fragte Dad.
»Nein, wie in Daktylus«, entgegnete Karen.
Dad lachte. »Na klar. Ich sehe, du bist mit der Prinzessin gut ausgekommen.«
»Ganz bestimmt!« meinte ein Teppich.
»Das ist schön«, sagte der König und nickte bedeutsam.
»Yeah«, stimmte Karen zu und wurde wieder schüchtern. War sie mit Prinzessin Ida etwa zu vertraulich umgegangen?
»Alles in Ordnung«, sagte Ida. »Ich bin so froh, daß ich nun einen Namen für meinen Mond habe.«
Karen war erleichtert, daß sie niemanden gekränkt hatte. Trotzdem beschlich sie das Gefühl, daß ihr etwas Wichtiges entgangen war.
11
Fracto
Jim Carlyle bemerkte die niedliche Ratlosigkeit seiner Tochter und wünschte, ihr sie nehmen zu können, aber er mußte dazu auf die passende Gelegenheit warten. Jedenfalls hatte sie weit bessere Arbeit geleistet, als sie vermuten konnte.
»Ich fürchte, wir werden uns nun auf den Weg machen müssen«, wandte er sich an den König. »Wir danken dir für deine Hilfe.«
»Wir
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