Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wechsel-Wind

Titel: Wechsel-Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren:
Vom Netzwerk:
es hervorgebracht hätte, wäre es je zu einem reifen Erwachsenen gediehen. Chlorine verspürte Mitleid mit dem Bäumchen, aber sie wußte, daß sie ihm nicht helfen konnte.
    »Nein, nicht mich«, sagte sie schnell. »Unter diesem hübschen Äußeren bin ich ohnehin lediglich eine einfache und recht geschmacklose Person. Aber ich habe etwas, das dir vielleicht besser gefällt: einen magischen Marker.« Sie hielt ihn hoch. »Hier, ich werde dir zeigen, was er kann: nämlich Dinge verändern. Zum Beispiel könntest du damit eine Raute in eine Raupe verwandeln. Paß auf!« Sie wählte kurzerhand eines der vielen Rautengewächse, die am Ufer wucherten, riß es aus und legte es vor sich auf den Boden. Dann schrieb sie RAUTE auf ihren Block, strich das T durch und ersetzte es durch ein P. Und aus der Raute wurde eine Raupe.
    »Siehst du«, pries Chlorine den Markierstift an, »das ist doch genau die Sorte Magie, die du dir schon immer gewünscht hast. Überleg mal, was du mit einer richtig großen Raute tun könntest! Du könntest sie in die größte, saftigste Raupe von ganz Xanth verwandeln. Daran könntest du dich so richtig satt essen, zufrieden wie eine Raupe in einer Hecke.«
    Die Spinne geiferte stärker. Die Idee schien ihr zu gefallen.
    »Und ich gebe dir dieses magische Werkzeug für einen winzigen, unerheblichen Gefallen«, fuhr sie beschwörend fort. »Du mußt dich nur in das Dock verwandeln und mich in das Boot steigen lassen. Dann bekommst du den magischen Marker und meinen Block, damit du…« Sie zögerte, denn ihr kam ein unbequemer Gedanke. »Du kannst doch schreiben, oder?«
    Aber die Spinne schüttelte den Kopf.
    Das war ein Problem. Doch Chlorines brillanter Verstand löste es. Sie pflückte eine weitere Raute und legte sie vor sich. Dann skizzierte sie rasch ein grobes Abbild der Pflanze, strich es durch und malte eine noch skizzenhaftere Raupe.
    Und die Raute wurde zur Raupe. Der Zauber funktionierte also auch mit Piktogrammen. Vielleicht hatte der Gute Magier geglaubt, sie sei zu dämlich zum Lesen und Schreiben. Was auch eine recht akkurate Einschätzung darstellte; sie war nur ein Jahr lang zur Zentaurenschule gegangen und kannte daher nur Wörter mit einer oder zwei Silben. Hätte sie »Quintessenz« schreiben müssen, wäre es um ihr Leben geschehen gewesen.
    »Also, wenn du malen kannst, dann kannst du auch diesen Marker benutzen«, sagte sie. »Ich weiß nicht, wie vielseitig das Ganze ist, aber da hier viele Rauten wachsen, kannst du so viele Raupen bekommen, wie du willst. Also, abgemacht?«
    Die Spinne nickte.
    Doch da durchfuhr Chlorine eine gelindes Gefühl der Sorge. Konnte sie der Spinne überhaupt vertrauen? Wenn sie nun sie und den Marker packte? Aber dann überlegte sie, daß die Spinne wohl vertrauenswürdig sein mußte, denn sonst würde der Gute Magier sie wohl kaum in einem Rätsel verwenden. Also gürtete Chlorine ihre Lenden – nein, doch nicht, das wäre undamenhaft gewesen. Sie hob das Kinn und trat in die Reichweite der Spinne. Wenn sie die Lage falsch eingeschätzt hatte und die Spinne sie packte, um ihr den Saft auszusaugen, dann würde sie dem Achtbeiner die Körperflüssigkeit in Gift verwandeln. Und dann würde die Spinne ihre Falschheit bereuen. Aber Chlorine hoffte das Beste.
    Die Spinne wurde zum Dock. Anmutig schritt Chlorine darüber und wandelte zum Boot. Sie kletterte hinein und legte den magischen Marker auf das Dock, löste die Leine, ergriff das Paddel und legte ab. »Ein Vergnügen, mit dir Geschäfte zu machen«, rief sie fröhlich.
    Die Spinne erschien wieder, den Marker in einer Kieferzange. Sie winkte Chlorine mit einem langen Kiefertaster zu. Das Mädchen hatte die zweite Prüfung bestanden.
    Aber ach du je – sie hatte Nimby ganz vergessen! »He, Nimby!« rief sie. »Kannst du zu mir kommen?«
    Während Chlorine das Boot wieder näher ans Ufer brachte, lief Nimby über das Dock. Die Spinne hatte angenehmerweise die Gestalt geändert und gestattete Nimby, über die Planken zu gehen und ins Boot zu gelangen. Vielleicht hatte sie irgendwie bemerkt, daß Nimby in Wirklichkeit ein Drache mit undurchdringlichen Schuppen war und man mit ihm besser keine Zicken machte. Schließlich fuhren sie wieder los.
    Ohne weiteren Zwischenfall paddelte Chlorine das Boot über den Graben. Aber sie wußte, daß noch eine dritte Prüfung auf sie wartete. Worin würde die bestehen? Die Prüfungen ähnelten einander nie, das wußte Chlorine. Hauptsache, es hatte nichts mit

Weitere Kostenlose Bücher