Wechsel-Wind
häßliche Portrait.
Wow, schon wieder! Also brauchten sie gar nicht mit Nimby zu sprechen; sie konnten alle Fragen an ihn einfach denken. Aber vielleicht wäre es gar nicht so klug, diese Feststellung herauszuposaunen.
Nimby sah ihn fragend an.
Weil die Leute gern ihre Geheimnisse für sich behalten, erklärte David mit deutlichen Gedanken. Sean zum Beispiel, daß er Chlorine unter den Rock schielt, um einen deutlichen Blick auf ihre Beine zu erhalten, aber er will nicht, daß sonst noch jemand davon erfährt. Und sie läßt ihn das tun und will nicht, daß jemand DAVON erfährt. Ich nehme an, das kannst du verstehen… Er hielt inne, und Nimby nickte. Und am besten läßt du sie nicht wissen, was du nun weißt, denn sie würden sich bis auf die Knochen blamiert vorkommen. Denn sie sind beide erwachsen, oder jedenfalls schon bald. Ich schätze, das ist so ähnlich wie diese Erwachsenenverschwörung, die uns Kinder davon abhält, Worte wie ›Pieps‹ zu sagen. Niemand darf davon irgend etwas wissen. Ich nehme an, wenn du ihnen in die Köpfe guckst, dann wirst du sehen, daß ich recht habe.
Nimby regte sich zuerst nicht, dann nickte er verblüfft. David war mit sich zufrieden – er hatte jemandem, der alles wußte, etwas beigebracht.
Und Nimby nickte wieder.
David begriff, daß er seine Gedanken nicht projizieren brauchte; Nimby konnte sie einfach aufspüren, sobald er, David, sie dachte. Aber wenn er doch jedermanns Gedanken einfach so lesen konnte, warum war er dann so ahnungslos und unschuldig?
Nimby schrieb einen Zettel und reichte ihn David.
David las, was darauf geschrieben stand. ›Ich bin mir bewußt, was um mich her vorgeht, aber es gibt so viel zu tun, daß ich nicht daran denke, solange ich nicht darauf hingewiesen werde. Ich kann so viele Gedanken hören, daß ich ihnen gewöhnlich überhaupt keine Aufmerksamkeit schenke. Außerdem habe ich Schwierigkeiten, menschliche Gefühle und Motivationen zu begreifen.‹
David konnte nicht widerstehen, noch einige Ratschläge zu geben. Wenn Nimby die Weltsicht und die Beweggründe von Erwachsenen erfahren wollte, dann sollte er in Dads oder Moms Verstand schauen. Wenn ihm der Sinn nach warmen, pubertären Gedanken stand, dann war Sean erste Wahl. Für eine naive, kindliche Sicht der Dinge bot Karen sich an. Wenn Nimby hingegen eine ausgewogene, vernünftige Perspektive erstrebte, dann war David selbst die allerbeste Quelle.
Nimby nahm den Rat an und nickte.
Auf eine Sache allerdings war David neugierig, und vielleicht wußte Nimby die Antwort. David konnte verstehen, daß Sean unter Chlorines Rock sehen wollte, denn das fand er selbst überaus faszinierend. Die Unterwäsche gewisser anderer Leute interessierte ihn brennend. Aber wieso gewährte Chlorine solche Einblicke ausgerechnet Sean?
Nimby schrieb: ›Sie ist noch nicht sehr lange so schön und möchte herausfinden, wie genau Schönheit sich auswirkt und wo die Grenzen liegen. Deshalb übt sie mit Sean, der von allen, zu denen sie im Augenblick Zugang besitzt, einem gewöhnlichen jungen Mann am nächsten kommt. Sie ist der Ansicht, daß etwas, das auf ihn wirkt, auf andere junge Männer ähnlich wirken sollte.‹
Ja, das sollte es wohl. Damit handelte es sich um eine Art wissenschaftliches Experiment Chlorines; im Grunde war Sean ihr also gleichgültig.
Nimby schrieb wieder etwas. ›Wissenschaftlich?‹
Nimby wußte nichts von der Wissenschaft? Nun, David könnte ihm selbstverständlich alles über mundane Wissenschaften erklären, aber nur, wenn Nimby seinerseits David bis in alle Einzelheiten berichtete, was er und Chlorine in der Nacht in ihrem Hotelzimmer getan hatten.
›Sie schlief. Ich saß da und bewachte Xanth.‹
Was denn, nichts Schmalziges? Nichts, was mit der Erwachsenenverschwörung zu tun hat? David war sich nicht sicher, ob er das glauben sollte.
›Chlorines romantische Gefühle für einen Eselsdrachen sind gering.‹
Für einen was?
›Meine natürliche Gestalt. Chlorine wünscht Kontakt zu Menschen.‹
Nimby brauchte nicht zu schlafen?
›Meine Gattung schläft nie.‹
Nimby besaß im Augenblick jedoch Menschengestalt. War er denn nicht wenigstens ein bißchen daran interessiert, wie Chlorine unter ihrer Kleidung aussah? David war erst zwölf, aber er hätte einiges darum gegeben, Chlorine splitterfasernackt zu erblicken.
›Ich erzeugte ihre – und meine eigene – gegenwärtige Gestalt. Ich kann ihren natürlichen Körper jederzeit erblicken, wenn ich das
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