Wechsel-Wind
zutiefst besorgt.
»Ich halte es für besser, hier auf Sean zu warten«, sagte Dad. »Es mag ihm körperlich gutgehen, aber es wäre doch gut, wenn ihn jemand Bekanntes erwartet.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob es dir körperlich gutgeht«, sagte Mom. »Diese Kobolde…«
»Haben mir nichts getan«, unterbrach Dad sie.
Mom wandte sich Nimby zu. »Stimmt das?«
Nimby schüttelte den Kopf.
»Dachte ich mir's doch«, sagte Mom ernst. »Du hast bestimmt am ganzen Leib Bisse und blaue Flecken. Zeig mal her.«
Dad zögerte. Er war wahrscheinlich angeschlagen, vermutete David, und wollte nicht, daß die Kinder davon erfuhren. »Ich gehe Karen holen«, sagte David. »Mich kennt sie ja schließlich auch. Und ich bin schuld, daß sie verschwunden ist.«
»Du bist nicht daran schuld«, widersprach Mom, und erfreut stellte David fest, daß er offiziell entlastet war. »Aber vielen Dank für deine Hilfsbereitschaft.«
»Also los«, sagte David. Tatsächlich setzte Nimby, der in seinen Gedanken las, sich bereits in Verbindung, und Chlorine folgte ihm. Die Landschaft wurde eigenartig – selbst im Vergleich dazu, wie sie ohnehin schon gewesen war. Die Bäume schienen seitwärts oder sogar von oben nach unten gewachsen zu sein, und Wasserpfützen flossen anscheinend willkürlich über den Boden. Einen Augenblick später wurde David klar, daß die Pfützen sich auf ihn und seine Begleiter zubewegten. »Was machen diese Tümpel denn nur?« fragte er und duckte sich, um einem auszuweichen, der ihm zu nahe gekommen war. Nimbys Block und Bleistift erschienen. Er schrieb etwas. Chlorine nahm den Zettel und las vor. ›»Tau schleppt?‹«
»Tau schleppt?« fragte David und machte ein Gesicht. Unglücklicherweise löste sich dieses Gesicht von seinem Kopf und schwebte davon, wobei es sich in grotesker Weise verzog. David schlug die Hände vor den Kopf und stellte fest, daß sein normales Gesicht noch immer vorhanden war; nur eine Kopie davon trieb im Wind hinweg.
»Schlepptau kommt«, erklärte Chlorine. »Wir müssen ihm ausweichen, sonst verschleppt er uns. Normalerweise sind diese Taupfützen harmlos, aber durch den vielen magischen Staub ändert sich hier einiges. Wir alle könnten Probleme durch den Wahnsinn bekommen, wenn wir tiefer in den Sturm vordringen.«
»Also, mein Bedarf an Problemen ist gedeckt«, sagte David, als er sah, wie ein Schlepptau sein schwebendes zweites Gesicht ergriff und davonzerrte.
Dann begegneten sie einem Mann, dessen Gesicht in ganz anderer Weise sehr merkwürdig war: Der Unterkiefer war vollkommen durchsichtig.
David konnte die Zunge und die Zähne drinnen sehen, und sie waren ebenfalls transparent. Der Mann blieb nicht etwa stehen, um sie zu begrüßen, sondern hetzte an ihnen vorbei. Wohin auch immer er ging, er schien es eilig zu haben. »Ein Mann mit einem Glaskinn«, sagte Chlorine erstaunt. »Ich hatte davon gehört, aber noch nie eines gesehen.«
David auch nicht. Aber noch seltsamere Dinge erwarteten sie. Eine der treibenden Pfützen hatte sich auf einer Wiese niedergelassen, und darum standen mehrere Wesen und hatten ihr den Rücken zugekehrt. Eines hatte den Kopf und die Arme eines Menschen, die Vorderbeine und den Rumpf eines Pferdes, aber den Hinterleib eines Fisches. Ein anderes besaß einen Menschenkopf, Geierflügel und einen Schlangenleib.
David wußte, daß er keine Zeit zu verlieren hatte, aber die Neugier ließ ihn nicht los. »Wenn euch die Frage nichts ausmacht – was seid ihr?« rief er den beiden zu.
Beide wandten sich zu ihm um und präsentierten volle Brüste. »Wir sind Doppelkreuzungen«, erklärte die mit dem Fischschwanz. »Ich bin eine Zenjungfrau, lang ausgesprochen Zentauren-Meerjungfrau; meine Freundin ist eine Harga, kurz für Harpyien-Naga.«
»Aber… aber… ich bin doch noch ein Kind!« rief David törichterweise, während er auf ihre Brüste starrte. »Ich darf so etwas doch noch gar nicht sehen!« Genau das hatte er nicht sagen wollen, aber da spielte ihm wohl der Wahnsinn einen Streich.
Die lieblichen Gesichter verzogen sich beide zu einem Lächeln. »Mach dir keine Sorgen«, beruhigte ihn die Harga. »Wir sind nämlich nur Traumgestalten, die dir unsere Freundin, die Zenmähre, eine Kreuzung aus Zentaur und Nachtmähre, beschert. Tschü-hüß!« Beide winkten und verschwanden.
David starrte auf die Stelle, an der sie gerade noch gestanden hatten. »Hast du – hast du das gesehen?« fragte er Chlorine.
»Was gesehen?« fragte sie
Weitere Kostenlose Bücher